Dr. Meike Gebhard ist Umweltökonomin und arbeitete bis 1998 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2000-2008 war sie als Head of E-Business beim internationalen Fachverlag Reed Elsevier plc tätig. Seit 2008 ist sie Geschäftsführerin von Utopia.de, Deutschlands reichweitenstärksten Internetportal für nachhaltigen Konsum. Meike Gebhard ist Expertin in den Bereichen Nachhaltigkeitsstrategie, Social Media und digitale Verbraucherkommunikation. Seit 2020 ist sie Mitglied des unabhängigen Umweltrats der UmweltBank AG.
Bank & Umwelt: Frau Dr. Gebhard, was ist die Idee hinter Utopia?
Meike Gebhard: Am besten drückt das der Leitsatz von Utopia aus, der schon seit vielen Jahren existiert: einfach nachhaltiger leben. Es gibt in jedem Konsumbereich bereits nachhaltige Alternativen und die zeigen wir, ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Damit sind wir seit elf Jahren sehr erfolgreich.
Erreichen Sie vor allem Menschen, die erst damit anfangen, nachhaltiger zu leben?
Ja. Unsere Idee war schon immer, diejenigen zu erreichen, die noch nicht komplett nachhaltig leben. Wir sagen: Fang doch schon mal an. Anders wird die Transformation nicht gelingen. Es gibt vielleicht 1 % der Menschen, die 100 % konsequent nachhaltig leben wollen und auch können. Die breite Masse ist dazu aber nicht bereit. Wenn wir den Klimawandel wirklich stoppen wollen, brauchen wir nicht die 1 % mit dem perfekten Ökostrom, sondern eine Gesellschaft, die komplett auf erneuerbare Energien umsteigt. Es reicht nicht, wenn wenige ausschließlich Biofleisch kaufen, sondern wir müssen insgesamt eine nachhaltigere Tierhaltung etablieren.
Unser Anspruch ist es, auch bei politischen Debatten den positiven Dreh hinzukriegen, sich also beispielsweise nicht nur gegen die Rodung des Hambacher Forsts stark zu machen, sondern gleichzeitig zu zeigen, wie einfach man zu Ökostrom wechseln kann.
Wie wichtig ist es, dass möglichst viele mitmachen und ins Handeln kommen?
Ich glaube das ist enorm wichtig. Die Konsumenten müssen mitmachen, aber auch Wirtschaft und Politik müssen ihren Beitrag leisten. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Akteure gegeneinander auszuspielen. Es kann nämlich nicht alles auf den Konsumenten abgewälzt werden. Wenn wir wirklich wollen, dass die Menschen vernünftiges Fleisch kaufen, dann werden wir das nicht allein mit Appellen an das Verantwortungsbewusstsein schaffen, sondern dann brauchen wir eine Gesetzgebung, die nachhaltige Mindeststandards in der Tierhaltung definiert. Dasselbe gilt für die anderen Lebensbereiche mit der größten Hebelwirkung, wie zum Beispiel bei der Mobilität.
Es reicht also nicht aus, Menschen einfach nur zu informieren, um ihr Verhalten zu verändern?
Nein. Man darf vor allem aus Nichtverhalten nicht schließen, dass die Leute nicht wollen. Wir haben doch alle erst einmal unseren Alltag zu bewältigen. Wir gehen in die Arbeit, dann warten zuhause vielleicht schon die Kinder und dann müssen wir auf dem Heimweg noch schnell einkaufen – die wenigsten haben Zeit, jede Packung sieben Mal abzuscannen. Wir sind auch nicht alle Umweltwissenschaftler, die diese komplexen ökologischen Zusammenhänge in jede Kaufentscheidung einbeziehen können. Der Verbraucher kann die Transformation nicht alleine bewältigen.
Ein schönes Beispiel hierfür ist das Thema Kleidung. Sagen Sie mal einem Menschen in der Fußgängerzone, dass er sich jetzt bitte nachhaltige Klamotten kaufen soll. Woher soll er denn wissen wie’s geht? Aus der Tatsache, dass nachhaltige Mode einen geringen Marktanteil hat, können wir nicht auf den Unwillen des Verbrauchers schließen. Bei Utopia sehen wir jeden Tag, dass die Leute sehr gerne sinnvoll einkaufen, wenn man ihnen gute Alternativen zeigt und sie diese ganz einfach mit zwei Klicks kaufen können. Ganz besonders beim Thema Mode.
Wir brauchen Mutige,
die jetzt anpacken und
zeigen, dass es geht.
Wie gut schaffen Sie es selbst, nachhaltig zu leben?
Ich bin die typische Utopia-Nutzerin, weil ich weit davon entfernt bin, perfekt zu sein. Ja, mein Auto stößt wenig CO2 aus, meine Wohnung ist klein und energieeffizient und ich kaufe Bio-Lebensmittel ein. Ich versuche weniger Fleisch zu essen und wenn, dann nur Bio. Wo ich wirklich noch besser werden kann, ist beim Fliegen. Ich fliege noch zu viel, weil ich einfach viel unterwegs bin. Ich kompensiere zwar, habe da aber immer weniger Lust drauf und würde lieber viel mehr Bahn fahren. Ich würde mir wünschen, dass die Bahn noch zuverlässiger und attraktiver wird. Auch in Sachen Kleidung bin ich noch nicht gut, da kaufe ich noch überwiegend konventionell ein, achte aber auf Langlebigkeit und Qualität.
Haben Sie einen persönlichen Leitsatz? Was treibt Sie an, wenn Sie auf Utopia schauen?
Ich habe es nicht so mit persönlichen Leitsätzen, aber ich finde, es gibt keinen zu kleinen Schritt in die richtige Richtung. Ich mag immer noch unseren Utopia-Slogan „Ich fang dann schon mal an.“ Und bitte: Lasst uns nicht dem, der klein anfängt, gleich mit der Keule eins drüberhauen, nur weil er nicht sofort 100 % perfekt ist. Wenn sich z. B. ein konventioneller Stromanbieter konsequent und glaubwürdig zu einem Ökostromanbieter entwickelt, ist das meines Erachtens genau das, was wir brauchen. Auf diese Unternehmen loszugehen, weil sie von woanders kommen, bringt uns nicht weiter. Denn nach meiner Überzeugung ist Nachhaltigkeit gesellschaftliche Transformation. Und dafür brauchen wir alle.
Wir müssen nachhaltiges Leben freudvoll gestalten, dann passieren die Dinge von alleine. Nachhaltigkeit ist doch eine unglaubliche Innovationschance. Wir reden zu viel über den Verzicht, und zu wenig über spannende neue Ideen und nachhaltige Visionen. Es könnten jetzt völlig neue Konzepte für Mobilität oder Städteplanung entstehen, die Verkehrsmittel sinnvoll kombinieren und Raum für mehr Natur und Miteinander in der Stadt schaffen. Wir brauchen Mutige, die jetzt anpacken und zeigen, dass es geht. Die anderen ziehen dann von alleine nach.
Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Wichtigkeit von nachhaltigem Banking?
Ich finde grundsätzlich das Thema nachhaltige Geldanlagen extrem spannend, weil es ein Schattendasein führt und gleichzeitig riesiges Potenzial hat. Selbst Menschen, die sich viel mit Nachhaltigkeit beschäftigen, wissen erstaunlich wenig darüber, was mit ihrem Geld auf der Bank passiert. Dabei wird der Bankenmarkt zu 99 % von konventionellen Anbietern beherrscht. Dass es hier echte nachhaltige Alternativen gibt, ist dem Großteil der Bevölkerung überhaupt nicht bewusst. Und vor allem ist noch viel zu wenig bekannt, dass es um die Frage geht, was mit ihrem angelegten Geld – z. B. mit ihrer Altersvorsorge – finanziert wird. Der Hebel ist gigantisch.
In dem Moment, in dem am Finanzmarkt die Strippen anders gezogen werden und Anleger sagen, dass sie in manche Dinge nicht mehr investieren, wird mehr erreicht, als wenn ein Einzelner seinen Stromanbieter wechselt.
Frau Dr. Gebhard, vielen Dank für dieses Gespräch.
Solange jeder – auch wenn gut gemeint – die sog. sozialen Netze nutzen, werden wir ausgebeutet.
Und wenn ich schon wieder Google lesen, könnte ich kotzen!!!
Hier finde ich jede Menge an Gedanken, die ich selbst schon seit langem immer wieder denke. Besonders wichtig ist mir dabei der auch in diesem Interview angesprochene Punkt, dass es vollkommen richtig ist, nicht immer wieder davon zu „faseln“, wir müssten auf alles Mögliche „verzichten“! In Wirklichkeit gewinnen wir doch ein riesengroßes Plus an echter Lebensqualität, wenn wir vernünftiger im Sinne von Natur- und Lebensverträglichkeit leben. Ich bezweifle aber leider, dass wir Menschen da wirklich noch rechtzeitig die Kurve kriegen. Und dann?
Die Antwort: Der Planet Erde begegnet einem anderen Planeten, der erschrocken fragt: „Um Gottes Willen, Erde! Du siehst ja fürchterlich aus! Was ist denn los mit Dir?“ Die Erde antwortet schwach: „Ach Gott, mich hat’s ganz schlimm erwischt, ich hab‘ „homo sapiens“. Oh weh, sagt da der andere Planet, das ist wirklich schlimm, ich hab‘ auch schon davon gehört, aber ich kann Dich vielleicht ein bisschen trösten, denn ich hab‘ auch gehört:DAS VERGEHT WIEDER!“ Na dann!
ABER: Vielleicht können wir ja doch, u. a. auch mit Hilfe von solchen Organisationen wie der Umweltbank, das Schlimmste gerade noch verhindern, oder ????
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Berg, Roth
Wenn durch Gestalten unmittelbare Erfolgserlebnisse gespürt werden können , bringt Veränderung am meisten. Ein gutes Beispiel hierfür ist das eigene Gießen der Strassenbäume vor dem Haus. Das Wässern regt unmittelbar die Photosynthese des Baumes an. Er reagiert mit erhöhter Luftfeuchtigkeit, die wir als Abkühlung und Erfrischung spüren, ungefähr so als würden wir ein Eis essen. Deshalb ist bei Hitze frühmorgens oder abends das Bäumegiessen wie der Gang zur Eisdiele und dann Whow !!
Sehr gut! Nicht nur, aber ganz besonders das mit dem zu viel über Verzicht reden, trifft genau ins Schwarze, denn vieles, was heute blitzschnell als Verzicht bezeichnet und damit in die negative Ecke gestellt wird, ist bei näherem Hinsehen nicht nur gar kein Verzicht, sondern ein Gewinn an echter Lebensqualität und Lebenssinn. Das Problem: Allzu viele haben – warum auch immer – noch immer ein völlig falsches Wertesystem verinnerlicht und Verbesserungen gelingen nur, wenn sie da anfangen, wo sie – wenn sie Erfolg haben sollen – auch anfangen müssen, nämlich im Kopf. Und da könnten die politischen Parteien, die ihre enormen Privilegien u. a. auch immer damit begründen, dass sie den verfassungsgemäßen Auftrag haben, an der allgemeinen öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken, mit Sicherheit einiges dazu beitragen, aber wie gesagt: Sie „könnten“ (Konjunktiv!)