Lieber Herr Humeid, Sie betrachten in Ihrer Forschung den Ausbau der erneuerbaren Energien im Nahen Osten sowie in Nordafrika. Allerdings liegt Ihr Fokus auf den Auswirkungen auf die Demokratie in den Ländern dieser Regionen. Welche Arten von Projekten werden dort umgesetzt? Sind dies dezentrale Projekte unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern oder eher von großen privaten oder staatlichen Unternehmen?

Die politischen Strukturen und Investitionskapazitäten der Staaten im Nahen Osten und Nordafrika sind sehr unterschiedlich, ebenso wie der eigenverantwortliche Ausbau erneuerbarer Energien. Beispielsweise kündigte Saudi-Arabien, das unter den arabischen Staaten das höchste Bruttoinlandsprodukt hat, 2009 an, dass es eher ein Energie- als ein Ölexporteur werden will und hauptsächlich in Solarenergie investieren wird. Sieben Jahre später stellte Saudi-Arabien seine Strategie „Vision 2030“ vor. Die darin aufgestellten Ziele zur Erzeugung von Solarenergie wurden im März 2018 erweitert. Der aktuelle Plan: 200 Gigawatt Solarenergie sollen bis 2030 produziert werden. Das entspricht etwa einem Drittel der derzeitigen weltweiten Produktion von Solarstrom. Die Umsetzung des Projekts wird allerdings seit Jahren von saudi-arabischen Machteliten gestoppt. In Ländern wie Saudi-Arabien, wo der Staat große Ölförderanlagen kontrolliert, beobachten wir also, dass Solaranlagen zentral in großen Anlagen umgesetzt und hauptsächlich durch staatliche Investitionen finanziert werden sollen. Diese werden aber durch Eliten, die von konventionellen Energieträgern profitieren, blockiert.

In anderen nicht erdölproduzierenden arabischen Ländern wie Jordanien und Tunesien gibt es weniger staatliche Investitionen in erneuerbare Energien, aber dafür einen fortschrittlicheren Regulierungsrahmen. Jordanien beispielsweise, das bei der Einführung von Einspeisetarifen im Jahr 2013 führend war, hat bis Ende 2018 eine Leistung von 1,13 GW aus erneuerbaren Energiequellen erreicht, was etwa 11 % des gesamten Strombedarfs entspricht. 40 % dieser Kapazität wurden von kleinen PV-Anlagen erzeugt, die auf Häusern, Fabriken, Moscheen und Kirchen installiert sind. Bis 2021 wird sich die Kapazität auf 2,4 GW mehr als verdoppelt haben.

Gibt es bereits Beispiele für die wechselseitige Wirkung von Energieprojekten und Demokratie?

Zwischen großen Energiekonzernen und dem Staat kommt es häufig zu Absprachen, die die Demokratie schwächen. Dies ist sogar in etablierten Demokratien gut dokumentiert, wie Timothy Mitchells in seinem Buch „Carbon Democracy“ erläutert. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass fossile Energieträger die Demokratie nicht immer behindert haben. Einige konventionelle Energiequellen, wie z. B. Kohle, hatten einen positiven Einfluss auf demokratische Entwicklungen. Im Falle europäischer Länder wie Deutschland organisierte sich die Arbeiterschaft und wurden zu einer politischen Kraft, die für den Aufbau demokratischer Systeme wichtig war.

Da die Öl-Produktion in vielen MENA-Ländern großer Interessentreiber ist, üben Machteliten vielfach Einfluss auf den Ausbau erneuerbarer Energien aus. Bashar Humeid geht der Frage nach, ob dezentralisierte Formen von erneuerbarer Energie die die Demokratie stärken kann | Foto: Robin Sommer / Unsplash

Auf der anderen Seite hatte Öl im Allgemeinen einen eher negativen Einfluss auf demokratische Prozesse. Beispielhaft in den ölproduzierenden MENA-Staaten zu beobachten. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Ölförderung keine große Zahl von Beschäftigten erfordert.
In der MENA-Region werden neue Energieträger einen großen Einfluss haben, weil die Politik dort mit nicht-erneuerbaren Energiequellen verflochten ist. Daher gibt es starke politische und wirtschaftliche Interessen, die den Ausbau verhindern oder zumindest die Produktion und Verwaltung erneuerbarer Energien zentralisieren wollen. Wie diese den Übergang zur Demokratie behindern können, wird die Hauptfrage meiner Studie werden.

Welche Zusammenhänge konnten Sie bisher erkennen oder sehen sie in naher Zukunft? Wird die Demokratie in diesen Ländern durch erneuerbaren Energien gestärkt?

Die stärkende Wirkung der erneuerbaren Energien auf die Demokratie kann man auf verschiedenen Ebenen beobachten. Global ist davon auszugehen, dass große Industrienationen, wenn sie stärker auf lokal erzeugte erneuerbare Energien setzen, ihre Abhängigkeit von den erdölproduzierenden (meist nicht-demokratischen) Ländern der arabischen Welt verringern. Kriege um Öl werden also nicht mehr geführt. Diese haben eher militarisierte statt demokratische Herrschaftsformen hervorgebracht.

Gleichzeitig führt der Rückgang der Abhängigkeit vom Erdöl zu einem Machtverlust der Öl Staaten auf regionaler Ebene. Leider spielten in der Vergangenheit die meisten dieser Länder in der Politik der Region eine negative Rolle. Ihr Einfluss war ein Hauptfaktor, der zum Scheitern des Arabischen Frühlings in vielen Ländern führte.

Auf nationaler Ebene gehe ich davon aus, dass der Einsatz von erneuerbaren Energien sozioökonomische Veränderungen hervorruft. Mich beschäftigt daher die Frage, ob dezentralisierte Formen von erneuerbarer Energie die politische Rolle von Einzelpersonen, Dörfern und Kleinstädten stärken kann. Werden so lokale Regierungsstrukturen gestärkt? Dies wäre wichtig, um den Grad der Unabhängigkeit von zentralen Behörden zu erhöhen, was für demokratische Prozesse von Vorteil ist.

Global ist davon auszugehen, dass große Industrienationen, wenn sie stärker auf lokal erzeugte erneuerbare Energien setzen, ihre Abhängigkeit von den erdölproduzierenden (meist nicht-demokratischen) Ländern der arabischen Welt verringern. Kriege um Öl werden also nicht mehr geführt.

Bashar Humeid

Politikwissenschaftler, TU Darmstadt

Gibt es bereits positive Beispiele für Veränderungen auf der nationalen Ebene?

Wir können beispielsweise in ländlichen Gemeinden in Ägypten beobachten, dass sich dort eine Industrie entwickelt, die auf erneuerbaren Energien basiert. Dies führt zu einer Zunahme der wirtschaftlichen Autonomie dieser Gemeinden. Die Frage ist, wie und wann dies zu einem politischen Faktor wird.
Aber auch in Ländern wie Saudi-Arabien, wo die Machtelite kein Interesse an einer dezentralen Nutzung von erneuerbaren Energien hat, beobachten wir, dass Haushalte, Geschäfte und sogar Fabriken Solarenergie für sich entdecken. Solche Entwicklungen zeigen, dass Solarstrom ein großes Potential hat, selbst in undemokratischen Staaten. Ein demokratisierender Effekt scheint plausibel zu sein, doch es kommt drauf an, wie die Behörden reagieren und wie die staatliche Kontrolle über solche Tendenzen aussehen wird.

Wie kamen Sie darauf, den Zusammenhang zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Stärkung der Demokratie zu untersuchen?

Ich bin in der MENA-Region geboren und aufgewachsen. Dort zu leben bringt einen in direkten Kontakt mit den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Ölindustrie. Wir haben dort die beiden Irak-Kriege miterlebt, die mit den Interessen am Öl verflochten waren. Ich habe mich immer gefragt: Wie können wir eine demokratischere und friedlichere Zukunft in unseren Ländern erreichen? Mit dieser Frage habe ich mich in meiner Masterarbeit beschäftigt. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass die Faktoren, die die MENA-Region daran hindern in eine demokratische und friedliche Ära einzutreten, weder kultureller Art sind noch mit dem Islam zusammenhängen. Meine Vermutung ist, dass die Verhinderung der Demokratie in diesen Staaten mit infrastrukturellen und geopolitischen Faktoren zusammenhängt. Das hat mich dazu gebracht, mehr im Bereich der erneuerbaren Energien zu forschen und zu arbeiten.

Sie deuten bereits an, dass Sie sich zusätzlich zu Ihrer Forschung an der TU Darmstadt persönlich in Jordanien engagieren und arbeiten. Welche Projekte haben Sie dort Umgesetzt?

Im Jahr 2011 gründete ich in Jordanien eine Nichtregierungsorganisation namens Meezan. Wir entwickelten nachhaltige Lösungen für Wasser, Nahrungsmittel und Energie in mehreren arabischen Ländern. Die Organisation entwickelte die „Freedom Machine“ und installierte 15 Einheiten in Jordanien, Palästina und der Schweiz. Die „Freedom Machine“ ist ein integriertes, sich selbst tragendes System für den urbanen Raum. Es kombiniert Wassergewinnung, biologische Lebensmittelanbau, Solarenergieproduktion und ökologische Gebäudetechnologien.

Seit 2013 war Meezan auch an der Entwicklung eines Systems für den Anbau und den Vertrieb von Bioprodukten in Jordanien beteiligt. Daraus entwickelte sich das Unternehmen Yanboot, das heute die führende Marke für Bioprodukte auf dem jordanischen Markt ist.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt allen Widerständen zum Trotz auch im Nahen und Mittleren Osten voran. Nichtregierungsorganisationen wie Meezan entwickeln Lösungen, die Wassergewinnung, biologische Lebensmittelanbau, Solarenergieproduktion und ökologische Gebäudetechnologien miteinander verbinden. | Foto: Bashar Humeid 

Wie wird das Thema Nachhaltigkeit in Jordanien angenommen?

Die Bevölkerung Jordaniens ist sehr unternehmerisch veranlagt und traditionell offen für neue Lösungen und Geschäftsideen. Schon bevor ich mein Projekt ins Leben rief, hatten 2008 13 % der Haushalte in Jordanien Solarthermiekollektoren zur Warmwasseraufbereitung. In den letzten Jahren wurde die Installation von PV-Paneelen auf privaten Dächern sehr populär. Es gibt mehr als 500 Unternehmen, die auf die Installation von PV-Zellen spezialisiert sind. Das ist eine große Zahl für ein Land mit nur 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und in dem die öffentliche Hand die Kosten für die Installationen kaum übernimmt.

Außerdem hat sich der Markt für Elektrofahrzeuge in Jordanien in den letzten Jahren deutlich verbessert. 18,5 % der Gesamtzahl von rund 42.000 Fahrzeugen, die 2018 in Jordanien zugelassen wurden, waren voll elektrisch. Viele Besitzerinnen und Besitzer von Elektroautos haben private PV-Paneele auf ihren Dächern. Leider hat die jordanische Regierung die Popularität von Elektroautos durch eine Steuer eingedämmt. Außerdem stoppte sie die Lizenzvergabe für große PV-Anlagen. Für Beobachtende steht dies in Verbindung mit einem Gasimportabkommen zwischen Jordanien und Israel. Auch hier sehen wir also, dass das Potenzial erneuerbarer Energien durch die herrschenden Eliten aus wirtschaftlichen Gründen eingeschränkt wird.

Wie sehen Sie die Zukunft in Jordanien und in der gesamt MENA-Region mit Blick auf Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien?

Meine Zukunftserwartungen für diesen Sektor sind sehr vielversprechend, wenn sich die Regierungen nicht negativ einmischen. Es gibt eine große gesellschaftliche Akzeptanz für erneuerbare Energielösungen und ich denke, es besteht die Möglichkeit, dass die MENA-Region auf diesem Gebiet eine Führungsrolle übernimmt.

Vielen Dank! Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Forschung und hoffentlich hören wir noch viel mehr von der nachhaltigen Entwicklung in Jordanien.

Bashar Humeid wuchs in Jordanien auf und absolvierte den Bachelor in Deutsch und Englisch an der University of Jordan. Anschließend studierte er Politikwissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2007 arbeitet er als Blogger und Umweltjournalist u. a. für die Deutsche Welle. Im Jahr 2012 gründet er die Nichtregierungsorganisation Meezan in Jordanien. Daraus ging das Unternehmen Yaboot hervor, dessen CEO er seit 2015 ist. Zur Zeit promoviert er an der Technischen Universität in Darmstadt. Weitere Informationen auf seiner LinkedIn-Seite.