Hallo Herr Adrion, was hat Sie bewegt, Viva con Agua zu gründen?
Im Jahr 2005 stand ich vor der Frage, wie es mit meinem Leben weitergehen soll. Eigentlich wollte ich eine Weltreise machen und soziale Projekte unterstützen. Ich hatte sogar schon die Weltkarte gekauft – und dann hat mir exakt einen Tag später unser damaliger Manager beim FC St. Pauli, Holger Stanislawski, einen neuen Vertrag angeboten. Weil ich beide Träume nicht aufgeben wollte, ist dann die Idee entstanden, aus dem Netzwerk des FC St. Pauli heraus eine soziale Organisation zu gründen. Ich wollte die Akteure im Ökosystem FC St. Pauli, das Wirkung weit über Hamburg hinaus hat, vernetzen und mit Spaß und ohne Zeigefinger soziale Themen voranbringen.
Heißt das, das Thema Wasser war dann eigentlich ein Zufall?
Ehrlich gesagt ja. Unser Ausgangspunkt war nicht das Thema Wasser an sich, sondern das Netzwerk und die Idee vom positiven Spirit, vom „Viva“, die wir in die Welt tragen wollten. Wir haben uns dann schon bewusst dazu entschieden, uns des Themas Wasser anzunehmen, weil es uns begeistert und wichtig ist. Wasser war aber tatsächlich erst der zweite Schritt.
Ich wollte mit Spaß und ohne Zeigefinger
soziale Themen voranbringen.
Wie kam es dazu?
Angefangen hat das mit einem Trainingslager 2005 auf Kuba. Wir wurden auf die Wassersituation und die Projekte der Welthungerhilfe vor Ort aufmerksam. Es gab ein Ziel: 50.000 Euro für die kubanischen Kindergärten und die Trinkwasserspender dort zu sammeln. Und das war ja damals auch ein bisschen Utopie! Schaffen wir das überhaupt, dieses Geld zusammenzubekommen in nur einem Jahr. Und der FC St. Pauli war damals dritte Liga. Nicht nur wir waren pleite, auch der Verein war pleite. Mehr als dieses erste Projekt konnten wir uns da gar nicht vorstellen. Das große Glück war, dass uns ganz viele Leute, vor allem die Fans, unterstützt haben.
Wie oft kommen denn Fußballprofis in Berührung mit sozialen Problemen und engagieren sich? Oder ist das eher ein spezielles St.-Pauli-Ding?
Es unternehmen ja viele Fußballer was. Ob das Philipp Lahm und Oliver Kahn mit ihren Stiftungen sind, oder aktuell Joshua Kimmich und Leon Goretzka mit „We Kick Corona“. Aber klar, ohne den FC St. Pauli und dieses besondere Netzwerk, das den Verein umgibt, wäre Viva con Agua nicht entstanden. Es gibt beim FC St. Pauli diesen krassen Unterschied zwischen Beliebtheit und sportlichem Erfolg, das ist wirklich einzigartig. Ich hatte meine schönste Fußballzeit in Hamburg. Einfach weil der Verein etwas ganz Besonderes ist und ich meine privaten Ideen mit dem Beruflichen so gut wie bei keinem anderen Verein vereinen konnte.
Viva von Agua war von Anfang an ein Netzwerk, bei dem jeder mitmachen konnte. Die Fans und das kulturelle Netzwerk des FC St. Pauli haben gleich voll mitgezogen. Sei es ein Bela B., Tim Mälzer, Heinz Strunk, Elton und viele andere – so wurde Viva con Agua sehr schnell sehr wirksam.

Viva con Agua aktiviert und inspiriert – für eine Welt ohne Durst! | Foto: Andrin Fretz
Was ist der Zweck von Viva von Agua?
Wir bestehen alle aus Wasser, deshalb sollten wir auch alle sauberes Wasser zum Trinken haben. Es geht aber um mehr! Es geht auch immer um Verbindungen, Austausch, Kooperation, Zusammenarbeit, Netzwerke, Community, Synergien und so weiter. Das ist unser Erfolgsrezept. Ein Ökosystem aus Verbindungen und Kooperationen. So drückt das auch unser Motto aus: „Wasser für alle – alle für Wasser“.
Wasser ist wichtig, aber auch nicht alles! Es geht bei Viva con Agua auch um das „Viva“. Wir wollen noch weitere Projekte starten, Raum für Vernetzung schaffen und unseren positiven Spirit verbreiten.
Ihr bietet auch ein eigenes Mineralwasser an – worum geht es da?
Ja, wir vertreiben unser Mineralwasser über eine eigene GmbH, die zu 60 % unserer Stiftung und dem Verein gehört, und zu 40 % unserer „Investoren-Gang“. Die haben dabei den Anspruch, das alles, was wir mit dem Wasser verdienen, wieder zurück in soziale Geschäftsmodelle und Projekte investiert wird. Und zwar sowohl bei Viva con Agua als auch bei den anderen Geschäftsideen in unserem Netzwerk, wie zum Beispiel bei Goldeimer, dem nachhaltigen und sozialen Toilettenpapier. Goldeimer verkauft neu auch „Normale Seife“ – vegan, bio und sozial.
Viva con Agua ist ein internationales Netzwerk von Menschen und Organisationen, das sich für den sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzt. 2006 wurde der gemeinnützige Verein Viva con Agua de Sankt Pauli ins Leben gerufen. Inzwischen unterstützen die Vision „WASSER FÜR ALLE – ALLE FÜR WASSER“ mehr als 15.000 ehrenamtliche Supporter, die mit zahlreichen Aktionen und ebenso viel Spaß Spenden für WASHProjekte weltweit sammeln – darunter viele Künstler und Musiker. Gemeinsam mit der Welthungerhilfe und lokalen Partnerorganisationen konnte die Bewegung so bereits über drei Millionen Menschen in WASHProjekten (WAter, Sanitation, Hygiene) erreichen.
Die Kraft dieses Netzwerks soll die neueste Idee „Villa Viva“ noch verstärken – was steckt dahinter?
„Villa Viva“ ist ein ganz neues Spielfeld für uns. Die Vision ist, ein Netzwerk an Orten zu schaffen, an denen die „Viva-Kultur“ spürbar wird. An diesem Ort, der Hotel, Gastronomie, Eventbühne und Diskussionsforum vereint, sollen Menschen zusammenkommen, übernachten, Spaß haben und gemeinsam nachhaltige Dinge entwickeln. Wir wollen Menschen dazu inspirieren, aktiv zu werden und sich sozial zu engagieren. Das muss nicht zwangsläufig bei Viva con Agua sein, aber natürlich in irgendeiner Weise nachhaltig. Und natürlich wollen wir damit Geld für unsere Wasserprojekte generieren.
Die erste Villa Viva eröffnet jetzt gerade hier in Südafrika in einem der ältesten Backpacker-Hotels von Kapstadt. Es freut mich, dass wir dafür über 20 Investor_innen aus Kultur und Sport gewonnen haben, die hinter der Idee stehen und die Villa Viva finanzieren. Uns ist wichtig, dass keine Spendengelder für den Aufbau eines Social Business verwendet werden.
Die UmweltBank ist ja auch ein Teil dieser Idee.
Ja, das freut mich sehr. Gemeinsam mit der UmweltBank sind wir seit geraumer Zeit dabei die größte Villa Viva in Hamburg entstehen zu lassen. Wir werden das eigentliche Flaggschiff der Idee, an dem wir nun gemeinsam schon vier Jahre arbeiten, im Juni der Öffentlichkeit vorstellen. Es freut mich sehr, dass wir hier tolle Leute zusammenbringen, inklusive einer tollen Bank, die bereit ist, so ein Projekt zu finanzieren.
Mal abseits der konkreten Aktivitäten von Viva con Agua. Was ist für Sie das drängendste Umweltproblem – und was müssten wir Ihrer Meinung nach dagegen tun?
Das größte Problem ist in meinen Augen eindeutig der massive Verbrauch an natürlichen Ressourcen. Wenn man sich hier in Südafrika Luftbilder von Goldminen anschaut, ist klar zu sehen, wie der Mensch den Planeten ausgenommen, ausgelaugt und dann verscherbelt hat. Sei es Luft, Wasser oder Boden – wir nehmen uns einfach immer noch mehr heraus. Das sieht man auch gut an der Verschmutzung der Meere. Wir in den Industrienationen sind das schlechte Vorbild an nicht nachhaltiger Lebensweise, dem die Schwellen- und Entwicklungsländer nacheifern.
Die Weltbevölkerung wächst stetig und alle wollen berechtigterweise mehr Wohlstand und dieselben Lebensbedingungen wie hier. Mit welchem Recht wollen wir Milliarden Menschen in sich entwickelnden Ländern sagen, dass sie nicht ebenso leben dürfen wie wir? Wir müssen anfangen, ein neues Leben zu definieren. Dabei dürfen wir uns nicht zurückentwickeln und wieder mit der Kutsche fahren, sondern neue Wege finden und definieren. Das geht nur mit der entsprechenden Rahmensetzung der Politik und mit einem gewaltigen Umsteuern.

Benny Adrion sieht das größte Umweltproblem in dem massiven Verbrauch an natürlichen Ressourcen.
| Foto: Timo Voss
Haben Sie eine konkrete Stellschraube im Kopf?
Ich habe gerade erst in einem Interview die Aussage gelesen, dass wir unseren Fleischkonsum halbieren sollten. Das wäre doch mal ein Anfang und eigentlich absolut einfach umsetzbar. Kühe produzieren eine ähnliche Menge an Treibhausgasen wie Autos und die Fleischproduktion an sich verursacht einen enormen Wasserverbrauch. Nur um unseren Fleischhunger zu stillen! Da wird doch klar, wie wirkungsvoll diese Maßnahme wäre. Es geht da ja um nichts überlebenswichtiges! Wir müssen nicht jeden Tag Fleisch essen. Es ist eben unsere Gewohnheit und einfach unreflektierter Genuss. Lasst uns doch die halbe Menge Fleisch essen und damit mal loslegen.
Nur, wie schafft man das? Höhere Preise? Verbote?
Eine reine Selbstverpflichtung der Verbraucher klappt natürlich nicht. Der Verbraucher kann das nicht allein stemmen. Wir alle wurden schon immer dazu erzogen, unhinterfragt Fleisch zu konsumieren. Sei es durch Verpackungen, die schön abgepackte Lyoner oder die Scheibe Wurst für die Kinder beim Metzger. Jetzt von den Verbrauchern zu erwarten, diese tief verwurzelnden Erfahrungen plötzlich aufzugeben, wird nicht funktionieren und ist einfach unfair. Es muss andere Eingriffe geben, seien es Vorgaben an Werbung und Verpackung oder andere Anreize. Die Märkte so wie sie heute sind, regeln das nicht, das sehen wir doch ganz klar. Es muss neue politische Rahmenbedingungen geben.
Als wie nachhaltig würden Sie Ihren eigenen Lebensstil einschätzen?
Uh, geht so. Ich bin jetzt in Südafrika und ich bin jetzt natürlich nicht mit dem Segelboot hierhergefahren. Mein Ressourcenverbrauch ist schon dadurch deutlich höher als er sein sollte, einfach weil ich auf der industriellen Seite der Welt groß geworden bin. Ja, ich besitze ein iPhone und ich verzichte auch nicht komplett auf Fleisch. Wegen Viva con Agua bin ich gezwungen, viel in der Welt unterwegs zu sein. Aber was wäre denn die Alternative? Wenn ich alles aufs Minimum einschränke, kann ich auch nichts bewirken. Ich versuche mich zu optimieren, tauge aber bestimmt nicht zum Vorbild.
Für mich sind Sie ein Vorbild in Sachen Engagement.
Vielen Dank für das Gespräch.
Benjamin Adrion ist Organisationsentwickler und Initiator von Viva con Agua und leitet inzwischen die Viva con Agua Stiftung. Als ehemaliger Fußballprofi spielte er u. a. beim VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig und beim FC St. Pauli. Er beendete seine Karriere, um sich Viva con Agua zu widmen. 2009 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Dieses Interview ist zunächst in Bank & Umwelt Nr. 86 erschienen.