Die Maskenbeschaffung? Man hätte doch wissen müssen, dass eine Pandemie kommt und schon längst einen Vorrat an Masken anlegen müssen. Außerdem hätte man eine staatliche Maskenproduktion im Lande aufbauen und erhalten müssen. Der Vorrat wäre wahrscheinlich unbemerkt von Mäusen zerfressen worden. Und die Marktwirtschaft hat funktioniert, sehr schnell waren Masken im Überfluss wieder lieferbar.

Die Wirtschaftshilfen? Wurden viel zu bürokratisch ausbezahlt. Die ganze Prüferei der Anträge dauert viel zu lange. Wenn aber dann rauskommt, dass sich Betrüger Hilfen erschlichen haben, dann heißt es sofort wieder: Skandal! Wieso habt ihr nicht ordentlich geprüft?

Die Impfstoffbeschaffung? Deutschland hätte nicht auf die EU vertrauen dürfen, sondern selber einkaufen müssen. Israel, Großbritannien und Amerika haben doch gezeigt, wie es geht. Dass ein solcher Egoismus eines Landes die EU zerrissen hätte – interessiert scheinbar niemanden mehr.

In den Kommentarspalten der Medien lese ich regelmäßig: „Die Politik hat das Vertrauen der Bürger verspielt!“ Mich ärgert das. Ich finde, die Erwartungen sind viel zu hoch. Die Politik soll uns von allen Sorgen befreien. Auch in einer Jahrhundertkrise müssen die Regierenden doch bitteschön immer alles richtig machen, und zwar vom ersten Tag an. Was hier erwartet wird, ist schlicht unmöglich, übermenschlich. Hinterher ist man immer schlauer. Und diejenigen, die am lautesten schreien „Skandal!“, hätten es bestimmt selber eher schlechter hingekriegt.

 

 Ich bin dankbar, dass wir Politiker haben, die im Diskurs nach dem richtigen Weg suchen.

Jürgen Koppmann

Vorstandssprecher der UmweltBank

Politiker sein ist ein schwerer Job – schon immer, und in diesen Zeiten besonders. Ich beneide die Damen und Herren nicht. Immer unter Beobachtung der Medien und der Opposition, kein freies Wochenende. Ständige Prügel, wenn etwas nicht gleich läuft. Bankvorstand sein ist auch nicht leicht, aber ich habe freie Wochenenden und werde nicht ständig von Paparazzi verfolgt. Meine Bezahlung ist auch mindestens gleich gut.

Ich bin sehr dankbar, dass wir in einem Land leben, in dem Politik als ernsthafte Sache verstanden wird, nicht als unterhaltsames Theater (Italien), oder als Kampf unversöhnlich gegenüberstehender Blöcke (USA), oder gar als Alleinherrschaft einer Lichtgestalt (Russland, Türkei). Ich bin dankbar, dass wir Politiker haben, die im Diskurs nach dem richtigen Weg suchen. Die in Nachtsitzungen beraten und Kompromisse finden, obwohl 16 Länderchefs und -chefinnen mit unterschiedlichen Ansichten und Prioritäten am Tische sind. Aus eigener Erfahrung in der Bank weiß ich: Je mehr Teilnehmer, desto schwieriger ist es, zu einem Ergebnis zu kommen.

Natürlich läuft das alles nicht ohne Fehler ab. Und natürlich gibt es schwarze Schafe und Missbrauch und Vorteilsnahme. Das verurteile ich. Aber das Grundvertrauen, dass die weit überwiegende Zahl der von uns gewählten Abgeordneten das Bürgerwohl antreibt und nicht ihr Ego oder ihre Gier, das habe ich immer noch und das hat sich bei mir in der Pandemie eher verstärkt als abgeschwächt. Deswegen hat sich die deutsche Demokratie – trotz aller Unzulänglichkeiten – in der Corona-Krise bei mir sehr viel Vertrauen erspielt.