Die Maskenbeschaffung? Man hätte doch wissen müssen, dass eine Pandemie kommt und schon längst einen Vorrat an Masken anlegen müssen. Außerdem hätte man eine staatliche Maskenproduktion im Lande aufbauen und erhalten müssen. Der Vorrat wäre wahrscheinlich unbemerkt von Mäusen zerfressen worden. Und die Marktwirtschaft hat funktioniert, sehr schnell waren Masken im Überfluss wieder lieferbar.
Die Wirtschaftshilfen? Wurden viel zu bürokratisch ausbezahlt. Die ganze Prüferei der Anträge dauert viel zu lange. Wenn aber dann rauskommt, dass sich Betrüger Hilfen erschlichen haben, dann heißt es sofort wieder: Skandal! Wieso habt ihr nicht ordentlich geprüft?
Die Impfstoffbeschaffung? Deutschland hätte nicht auf die EU vertrauen dürfen, sondern selber einkaufen müssen. Israel, Großbritannien und Amerika haben doch gezeigt, wie es geht. Dass ein solcher Egoismus eines Landes die EU zerrissen hätte – interessiert scheinbar niemanden mehr.
In den Kommentarspalten der Medien lese ich regelmäßig: „Die Politik hat das Vertrauen der Bürger verspielt!“ Mich ärgert das. Ich finde, die Erwartungen sind viel zu hoch. Die Politik soll uns von allen Sorgen befreien. Auch in einer Jahrhundertkrise müssen die Regierenden doch bitteschön immer alles richtig machen, und zwar vom ersten Tag an. Was hier erwartet wird, ist schlicht unmöglich, übermenschlich. Hinterher ist man immer schlauer. Und diejenigen, die am lautesten schreien „Skandal!“, hätten es bestimmt selber eher schlechter hingekriegt.
Ich bin dankbar, dass wir Politiker haben, die im Diskurs nach dem richtigen Weg suchen.
Politiker sein ist ein schwerer Job – schon immer, und in diesen Zeiten besonders. Ich beneide die Damen und Herren nicht. Immer unter Beobachtung der Medien und der Opposition, kein freies Wochenende. Ständige Prügel, wenn etwas nicht gleich läuft. Bankvorstand sein ist auch nicht leicht, aber ich habe freie Wochenenden und werde nicht ständig von Paparazzi verfolgt. Meine Bezahlung ist auch mindestens gleich gut.
Ich bin sehr dankbar, dass wir in einem Land leben, in dem Politik als ernsthafte Sache verstanden wird, nicht als unterhaltsames Theater (Italien), oder als Kampf unversöhnlich gegenüberstehender Blöcke (USA), oder gar als Alleinherrschaft einer Lichtgestalt (Russland, Türkei). Ich bin dankbar, dass wir Politiker haben, die im Diskurs nach dem richtigen Weg suchen. Die in Nachtsitzungen beraten und Kompromisse finden, obwohl 16 Länderchefs und -chefinnen mit unterschiedlichen Ansichten und Prioritäten am Tische sind. Aus eigener Erfahrung in der Bank weiß ich: Je mehr Teilnehmer, desto schwieriger ist es, zu einem Ergebnis zu kommen.
Natürlich läuft das alles nicht ohne Fehler ab. Und natürlich gibt es schwarze Schafe und Missbrauch und Vorteilsnahme. Das verurteile ich. Aber das Grundvertrauen, dass die weit überwiegende Zahl der von uns gewählten Abgeordneten das Bürgerwohl antreibt und nicht ihr Ego oder ihre Gier, das habe ich immer noch und das hat sich bei mir in der Pandemie eher verstärkt als abgeschwächt. Deswegen hat sich die deutsche Demokratie – trotz aller Unzulänglichkeiten – in der Corona-Krise bei mir sehr viel Vertrauen erspielt.
Hallo Herr Koppmann, endlich mal einer, der auch den Mut hat, die Pandemie realistisch und mit Augenmaß zu sehen. Danke für den tollen Input!
Hallo Herr Koppmann,
leider kann ich mich Ihrem Kommentar nicht anschließen. Zu folgenden Punkten regt sich Widerspruch:
1. Krisenvorsorge. Diese war leider mangelhaft. Eine Pandemie ist seit Jahren ein erwartbares Krisenereignis. Leider hat man sich weder organisatorisch noch materiell auf dieses Szenario vorbereitet. Durch die globalisierte Arbeitsteilung und die allein unter den Kostenargument aus Deutschland ausgelagerte Produktion von Arzneimitteln und Schutzausrüstungen sind Lieferengpässe und Abhängigkeiten entstanden. Wir müssen uns für zukünftige Krisen besser aufstellen. Dies gilt auch organisatorisch. Globale Krisen können wir nicht länger allein auf Ebene der Landkreise und Bundesländer angehen. Es fehlen entsprechende Zuständigkeiten und funktionierende Strukturen auf Bundes- und Europa-Ebene! Ihr Argument mit den Mäusen, die gelagerte Masken längst zerfressen hätten, ist (sorry!) einfach nur daneben und zeugt von Unkenntnis im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Unsere Zivile Notfallreserve umfasst 800.000 Tonnen Lebensmittel. Die werden auch nicht von Mäusen zerfressen. Sie werden ordnungsgemäß gelagert (durch das BM für Ernährung und Landwirtschaft) und werden übrigens vor Ablauf der Mindesthaltbarkeiten in den Verzehr gebracht. Aber Vorsorge kostet Geld und man sieht erst einen Nutzen, wenn der Krisenfall da ist.
2. Funktionierende Marktwirtschaft bei der Maskenbeschaffung. Na ja, das kommt dann doch sehr auf den Anspruch an. Als wir die Masken im Frühjahr 2020 gebraucht hätten, waren einfach keine da. In vielen europäischen Krankenhäusern wurden Schutzausrüstungen mehrmals verwendet. Medizinisches Personal hatte dadurch ein deutlich höheres Risiko und über 10.000 Mediziner und Pflegekräfte sind in Deutschland dadurch erkrankt, ca. 900 benötigten eine intensivmedizinische Behandlung, über 60 sind daran verstorben. Führende Politiker zogen zu Beginn erstmal die Wirksamkeit der Masken für die Bevölkerung in Zweifel (weil man der Bevölkerung nicht sagen wollte, dass man nicht genügend davon hat, um sie an alle zu verteilen), um die Schutzausrüstung dann in Hauruck-Aktionen für teures Geld in z.T. fragwürdigen Beschaffungsprozessen in z.T. fragwürdiger Qualität aus China zu beschaffen. Nicht ohne einen gewissen Propaganda-Effekt für die Machthaber aus China. Zur Erinnerung: der Landrat Puch (CDU) des Kreises Heinsberg in NRW schrieb einen offenen Brief an die chinesische Staatsführung im März 2020 und bat um Masken und andere Schutzausrüstung für seinen Landkreis (und bekam noch am gleichen Tag Antwort).
3. Was Sie noch ausgelassen haben: eine nur bedingt funktionierende Corona-App, schlecht mit der Pandemie zurechtkommende und unzureichend mit IT ausgestattete Schulen, halbherzige Lockdowns und spätgreifende Notbremsen, ein durch Sparmaßnahmen und schlechte Arbeitsbedingungen angeschlagenes Gesundheitssystem etc.
Mein Fazit: Wir haben uns mal wieder so durchgewurstelt und wir hatten viel Glück.
Nein, mein Vertrauen in die deutsche Politik hat das Corona-Krisenmanagement nicht gestärkt. Die Corona-Pandemie war zum Glück keine Ebola (o.ä.)-Pandemie mit höherer Sterblichkeit. Der Impfstoff war für uns (in den reichen Ländern) noch relativ schnell verfügbar. Deshalb ist es nicht noch schlimmer für uns ausgegangen. Regelmäßige (!) Entscheidungsfindungen in nächtlichen Runden ohne Parlamentsbeteiligung finde ich übrigens auch keinen Beleg für das Funktionieren unserer Demokratie.
Warum mir Ihr Kommentar wirklich missfällt: Mit dieser selbstzufriedenen Haltung des „Schwamm drüber“, „alles noch mal gut gegangen“, „besser als bei Putin und Erdogan“, ziehen wir nicht die richtigen Schlüsse für die vor uns liegenden Risiken und Krisen. Und diese liegen nicht zuletzt im Klima- und Umweltbereich.
Hallo Herr Koppmann,
Sie sprechen mir aus dem Herzen! Die Komplexität der zu treffenden Entscheidungen (für Politiker) wird oft unterschätzt, wenn man nicht selbst in der Rolle ist, außerdem sind im Nachhinein immer viele klüger, weil schnell vergessen wird, wie die (Sach)Lage und Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich war.
Viele Politiker in den obersten Entscheidungsgremien haben auf mich in dieser Pandemie im großen und ganzen einen sehr verantwortungsbewußten und vertrauenswürdigen Eindruck gemacht.
Sehr geehrter Herr Koppmann
von Ihnen als Vorstandssprecher der Umweltbank erwarte ich keine gesellschaftspolitische Meinungsvertretung, die nicht in Zusammenhang mit den Aufgaben und Zielen der Umweltbank steht.
Möchten Sie selbst politisieren? Dann tun Sie dies bitte ausserhalb der Umweltbank und Ihrer Aufgaben als Banker. Warum konzentrieren Sie sich nicht auf Fragen der ethischen Finanzanlage, sozial-ökologischer Gesellschaftstransformation, verbunden mit profunden ökonomischen Kenntnissen, die vielmehr Aufmerksamkeit verdienen und für die die Umweltbank einsteht?
Freundliche Grüsse
Thomas Fries
Herr Koppmann, ich schließe mich ihren Aussagen vorbehaltlos an. Ich bin dankbar, dass der Mensch Vorrang vor der Wirtschaft hat. Hier gab es aus allen möglichen Gründen Hoch und Tief.
Schön mal was Erfreuliches zu lesen über unsere Demokratie!. Danke dafür