Upcycling heißt nicht viel mehr, als etwas Ausrangiertes wiederzuverwerten. Ausgediente Dinge werden zum Ausgangsmaterial für etwas völlig Neues. Wird der Wert dabei gesteigert, spricht man von Upcycling. Kennen Sie noch die alten Senfgläser, die ausgespült und ohne Deckel zum Wasserglas wurden? Das ist eigentlich nichts anderes als Upcycling. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Menschen extrem erfinderisch, schließlich herrschte Mangel an fast allem. So wurde aus einem alten Stromkabel ein Fahrradschloss oder aus einem Stahlhelm ein Sieb.

Modernes Upcycling ist nicht unbedingt aus der Not geboren. Zwar ist Upcycling in erster Linie nachhaltig, denn es wird überwiegend vorhandenes und ungenutztes Material wiederverwendet. Das ist natürlich Ressourcen schonend und ein wichtiges Element im Kampf gegen den Klimawandel. Dazu kommt aber, dass Upcycling-Produkte oft sehr kreativ und einzigartig sind. Das trifft den Zeitgeist und bedient das Bedürfnis nach Individualität, das viele Menschen haben. Ein Skateboard aus alten Fischernetzen und Schmuck aus alten Landkarten bieten schließlich ein interessantes Gesprächsthema.

Kaffeeform: Tasse statt Masse

Aber Upcycling ist viel mehr als ein paar Aus-Alt-mach-Neu-Ideen. Findige Unternehmerinnen und Unternehmen machen aus Upcycling erfolgreiche Geschäftsmodelle. Julian Lechner beispielsweise hatte die Abertausenden von Wegwerfbechern satt. Stattdessen hatte er die Vision, nachhaltige Kaffeebecher aus Kaffeesatz herzustellen. Die Idee kam ihm während des Studiums, als er in einer norditalienischen Espressobar saß. Drei Jahre später hatte er eine Formel gefunden: Aus recyceltem Kaffeesatz und einigen anderen nachwachsenden Rohstoffen, die mit Biopolymeren verhärtet werden, war das Material Kaffeeform entstanden. Optisch ähnelt Kaffeeform dank seiner dunkelbraunen Färbung und der leicht marmorierten Struktur dem Werkstoff Holz. Der Duft verrät es jedoch: Ein leichtes Kaffeearoma verströmen in diesem Fall sogar die leeren Tassen.

Kaffeeform ist nicht nur ressourcenschonend, sondern auch bruchsicher und spülmaschinentauglich. Die Produktion erfolgt mit lokalen Partnern. Den Kaffeesatz sammeln Fahrradkuriere aus Berliner Röstereien und Cafés ein. In einer sozialen Werkstatt wird der Kaffee getrocknet und haltbar gemacht, anschließend formen verschiedene Betriebe in Deutschland daraus Kaffeetassen.

QMILK: Die Milch machts wieder

Was passt zu Kaffee? Natürlich Milch! In diesem Fall kommt die Milch allerdings nicht in den Kaffee, sondern in den Kleiderschrank. Die Idee ist gar nicht so neu: Schon in den 1930er-Jahren wurde Milch zu Textilien verarbeitet. Allerdings war die Produktion damals sehr aufwendig und nur unter Einsatz von Chemikalien möglich. Anke Domaske nahm den Faden noch einmal auf, als sie auf der Suche nach einer Faser für chemisch unbehandelte Kleidung war. Ihr Stiefvater hatte aufgrund einer Krebserkrankung eine Textilallergie entwickelt und konnte kaum mehr herkömmliche Kleidung tragen. Milchfaser schien die Lösung zu sein, wenn man die Herstellung ohne Chemie bewältigen könnte. Die ersten Versuche unternahm die ehemalige Jugend-forscht Siegerin in einem selbst zusammengestellten Heimlabor in der Küche. Zwei Jahre später konnte der Stiefvater das erste T-Shirt aus Milchproteinen ganz ohne Chemikalien tragen.

2011 gründete Anke Domaske die Firma QMILK. Die Firma verwendet keinerlei genießbare Lebensmittel, sondern sauer gewordene Milch aus dem Handel oder Abfallprodukte aus der Käserei. Alleine in Deutschland werden auf diesem Wege zwei Millionen Tonnen Milch entsorgt. Die Textilfaser von QMILK fühlt sich an wie Seide, ist aber bei 60 °C waschbar. Sie nimmt Feuchtigkeit auf, ist temperaturregulierend und antibakteriell. Theoretisch ist QMILK sogar essbar.

Das Unternehmen produziert heute verschiedene Industriematerialien, die unter anderem zu Toilettenpapier, Lebensmittelfolie, Babybeißringen oder Hundeknochen verarbeitet werden. Das QMILK-Filz steckt beispielsweise in Rucksäcken der Marke Vaude. Mit QMILK Cosmetics hat Gründerin Anke Domaske außerdem eine eigene Kosmetikmarke etabliert.

Aus Wellpappe können ressourcenschonend Möbel hergestellt werden. | Foto: Room in a Box

Room in a Box: Ein Karton zum Träumen

Leicht und stabil, flexibel und nachhaltig. So sollten Möbel idealerweise sein. Die meisten Möbel sind es eher nicht. Alleine in puncto Gewicht sieht die Realität meist anders aus. Auch bei der Nachhaltigkeit fallen viele Möbel durch. Zwar ist Holz, das klassische Material für Möbel aller Art, grundsätzlich als nachwachsender Rohstoff begrüßenswert. Doch noch immer werden viele Möbel aus Tropenholz gefertigt und mit enorm viel Chemikalien behandelt. Beides sind ziemliche Klimakiller.

Eine Alternative bietet Room in a Box. Die beiden Gründer Gerald Dissen und Lionel Palm setzen auf Wellpappe. Der Bestseller des deutschen Start-ups ist das Pappbett. Es kann flexibel für Breiten von 80 bis 200 Zentimetern bestellt werden. Dank modularer Bauweise lässt sich das Bett jederzeit vergrößern oder verkleinern. Sogar eine Familienbett-Variante ist möglich. Wird das Bett nicht benötigt, kann es einfach zusammengefaltet und zur Seite geschoben werden. Neben dem Bett gibt es von Room in a Box auch Hocker, eine Hängeleuchte, Schreibtischaufsätze und einen Weihnachtsbaum aus Pappe.

Die Pappmöbel bestehen zu 70 Prozent aus recyceltem Material und nur zu 30 Prozent aus Frischfasern. Da ausschließlich Schwerlastpappe verwendet wird, sind alle Produkte enorm langlebig und belastbar. Das Bett beispielsweise weißt eine Tragfähigkeit von 1000 kg pro Quadratmeter auf und ist auf eine Nutzung von zehn Jahren ausgerichtet. Die eingesetzten Klebstoffe basieren auf Maisstärke, Farben sind lösungsmittelfrei und auf Wasserbasis hergestellt. Darum können die Pappmöbel einfach über die Altpapiertonne entsorgt und so dem Wertstoffkreislauf zugeführt werden.

Massentaugliche Upcycling-Produkte können Natur und Klima effektiv entlasten. So weist das Pappbett einen 280-mal geringeren CO2-Fußabdruck und einen 8.000-mal geringeren Energieverbrauch auf als ein herkömmliches Bett. Prognosen der Worldbank beziffern die Müllmenge der OECD-Staaten im Jahr 2025 bereits bei 1,7 Millionen Tonnen pro Tag. Kluge Upcycling-Projekte werden wir also dringend brauchen.