Was haben Todmorden, Oslo, Kassel, Rotterdam und Andernach gemeinsam? Sie alle arbeiten an der Vision einer „Essbaren Stadt“. Dahinter steckt die Idee, in den Städten eine vielfältige lokale Nahrungsmittelproduktion zu etablieren, um so den regionalen Selbstversorgungsanteil zu erhöhen. Gleichzeitig sollen auf diese Weise Kenntnisse zum Anbau von Nutzpflanzen in der Bevölkerung wieder verbreitet werden – und das alles eben nicht hinter Zäunen, sondern im öffentlichen Raum.

Waren es 1950 noch weniger als 30 Prozent, so werden bis 2030 wohl mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Auch in Deutschland ist der Trend zur Stadt ungebrochen. Dabei steht außer Frage: Für eine nachhaltige Entwicklung der Ballungsräume ist die Ernährung wesentlich. Die „Essbare Stadt“ versucht, neue Leitbilder für die Stadtentwicklung zu schaffen.

Gärten statt grüne Wiesen

In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 50 Städte, die versuchen, diese Vision zu realisieren. Durch die Umwandlung städtischer und privater Grünflächen, aber auch von Brachflächen, Dächern und Hauswänden in öffentliche, „essbare“ Gärten soll die lokale und vielfältige Nahrungsmittelproduktion gefördert werden, um so wieder ein Stück Ernährungsautonomie zu gewinnen.

Vorreiter dieser Idee in Deutschland waren Kassel und Andernach. In beiden Städten entwickelte man die Vision einer „Essbaren Stadt“ nach den Prinzipien der Permakultur und arbeitete von Anfang an ökologisch. Durch Permakultur sollen funktionierende nachhaltige und naturnahe Kreisläufe geschaffen werden. Von Beginn an war Dr. Lutz Kosack für das Projekt „Essbare Stadt Andernach“ verantwortlich: „Neue Flächen in unseren Städten zu schaffen, ist praktisch unmöglich, aber wir können ökologisch wenig wertvolle Rasenflächen umwandeln in Orte der Ernährung, Bildung, Ökologie und auch der Ästhetik.“ Jedes Jahr stellt die Stadt ihre essbaren Flächen unter ein neues Thema, um Vielfalt sichtbar zu machen. Das Motto in diesem Jahr: „Da haben wir den Salat“.

Ernte für alle: Kräuter- und Gemüsebeete. | Foto: 90Grad Photography/Hilger & Schneider GbR

Solidarität und Miteinander säen

Nach anfänglichen Vorbehalten gibt es heute, so Kosack, eine breite Zustimmung in Andernach für das Projekt. Mit jedem Jahr wird das System ausgeklügelter: Inzwischen gibt es sogar ein Farb­leitsystem für die Ernte des Gemüses. Mittlerweile sind auch Wein, Bienen, Hühner, Schweine und Schafe Teil des Gesamtkonzepts. Auf diese Weise ist Andernach zum Vorzeigeprojekt in Sachen „Essbare Stadt“ geworden.

172 Führungen für interessierte Besucher aus ganz Deutschland gab es allein 2017. Um die Idee der „Essbaren Stadt“ als Teil nachhaltiger Stadtentwicklung voranzubringen, formieren sich landauf, landab immer mehr Bürgerbewegungen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um gutes Essen: Der Wunsch nach ökologischer und regionaler Ernährung ist gleichzeitig die Saat für mehr demokratisches Miteinander von Erzeugern, Zivilgesellschaft und Politik.