Als Ex-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt Ende 2017 im Alleingang für die weitere Genehmigung von Glyphosat in der EU stimmte, war die Empörung groß. Gilt das Pflanzengift doch als eine der Ursachen für das grassierende Insektensterben. Dem Politiker waren offenbar die Interessen der Agrarlobby und der Chemieindustrie wichtiger als der Umweltschutz – und der Wille vieler Bürger. Insgesamt 1.072.426 Unterschriften hatte Campact vor der Abstimmung für ein Glyphosatverbot gesammelt und der Europäischen Kommission übergeben. Die eine Stimme überwog alle anderen: Das Votum des deutschen Landwirtschaftsministers war das Zünglein an der Waage, damit Glyphosat für weitere fünf Jahre in der EU verwendet werden darf. Ein Rückschlag. Aber für Campact ist das Thema damit noch lange nicht erledigt. Bei der Nichtregierungsorganisation (NGO) wissen sie, dass man in der Politik einen langen Atem benötigt.

Gerechtigkeit für Dauerbrenner

Fast jede Kampagne von Campact beginnt mit einer E-Mail und der Bitte, den Aufruf für oder gegen etwas namentlich zu unterzeichnen – ganz einfach mit zwei Klicks. So bekommt die Organisation einen Überblick, was die potenziellen Unterstützer wirklich bewegt, und kann je nach Menge der Unterschriften schon eine gewisse Signalwirkung entfalten. „Wir sehen uns als Seismograf und Verstärker für Stimmungen in der Gesellschaft“, sagt Felix Kolb, Geschäftsführer und Gründungsmitglied von Campact. Die gemeinnützige Organisation, die Kolb als eine „onlinegestützte Bürgerbewegung für progressive Politik“ beschreibt, greift Themen und Entwicklungen auf, die aus Sicht des Vorstands und des Campact-Unterstützerkreises von Politik und Regierung nicht angemessen behandelt, ignoriert oder sogar konterkariert werden. Ganz oben rangieren die Dauerbrenner Energiewende, Klimaschutz, eine gentechnik- und glyphosatfreie Landwirtschaft, Freihandel, Verbraucherschutz, die Übermacht großer Konzerne und soziale Ungerechtigkeiten aller Art. Welcher politische Missstand Gegenstand einer Campact-Kampagne wird, entscheidet der Vorstand, der – wenn möglich – die Kampagnenthemen unter den Unterstützern abfragt. Schließlich soll es um die Anliegen und Meinungen von Bürgern gehen – und nicht um die eigene Agenda.

Wir sehen uns als Seismograf und Verstärker
für Stimmungen in der Gesellschaft.

Felix Kolb von Campact

Aus dem Internet auf die Straße

„Wir machen Menschen ein Angebot, die mit der herkömmlichen Politik schon fast abgeschlossen haben“, sagt Kolb. Die Onlinepetition sei dabei nur ein erster Schritt, gefolgt von Demos, deutschlandweit organisierten Aktionen und dem direkten Austausch mit Entscheidern in der Politik. Und weil viele Menschen finden, dass einiges schiefläuft in Deutschland, gelingt es der Organisation immer wieder, via Internet viele Menschen zu mobilisieren. Seit der Gründung vor 14 Jahren hat ­Campact einen Unterstützerkreis von 1,9 Millionen Menschen aufgebaut, von denen sich 140.000 auch finanziell engagieren – einmalig oder als Förderer mit einem Beitrag von regelmäßig acht Euro im Monat. Einer der größten Erfolge der schlagkräftigen NGO war die Kampagne gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, mit der sich Campact bei vielen Politikern in Deutschland und Europa ziemlich unbeliebt machte.

Campact bleibt dran: Großdemo in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt!“ für umweltfreundliche Landwirtschaft. | Foto: Chris Grodotzki/Campact

Spitze Tatsachenbehauptungen

Aber eignet sich diese Form der „außerparlamentarischen Opposition“ überhaupt, um komplexe Themen differenziert aufzubereiten? Nicht immer, das gibt Kolb auch ganz offen zu. Deshalb muss sich Campact regelmäßig dem Vorwurf stellen, Probleme zu vereinfachen und eigennützig auf einer Welle der allgemeinen Empörung zu surfen. „Natürlich spitzen wir unsere Kritik zu, aber nie aufgrund falscher oder gar nicht vorhandener Tatsachen“, sagt Felix Kolb. Als ein Sammelbecken für Bürger, die mit den etablierten Parteien unzufrieden sind, ist Campact mitunter auch attraktiv für den einen oder anderen AfD-Wähler – selbst wenn die Organisation sich ganz deutlich eine linksliberale Politik auf die Fahnen geschrieben hat. „Das wurmt uns“, gibt Kolb unumwunden zu. Deshalb wird er nicht müde zu betonen, dass seine NGO im Gegensatz zu populistischen Bewegungen und Parteien nie das demokratische und pluralistische Staats- und Gemeinwesen per se infrage stellt. Im Gegenteil: Vielfalt, Toleranz und demokratische Grundwerte sind den Aktivisten bei Campact besonders wichtig. Sie sehen sich vor allem als Förderer von Gerechtigkeit: „Die Stimme von normalen Bürgern oder Umweltaktivisten, die im Gegensatz zu Konzernen nicht über viel Geld und professionell organisierte Lobbyistenbüros verfügen, wird im politischen Betrieb oft nicht gehört. Wir versuchen, diese Ungleichheit zu korrigieren.“

Ein hoher Anspruch, aber durchaus Erfolg ver­sprechend: So wurde auf Initiative von Campact und 22 weiteren Organisationen im April vom EU-Parlament ein Sonderausschuss zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln eingesetzt. Er soll Unregelmäßigkeiten und Interessenkonflikte bei der Zulassung von Glyphosat offenlegen und Empfehlungen für zukünftige Genehmigungsverfahren abgeben. Das ist noch nicht das erhoffte Verbot, aber für Campact ein Schritt in die richtige Richtung. „Es geht nicht immer schnell, vielleicht ist es auch nicht genau das, was wir wollten, aber wenn wir uns gemeinsam engagieren, können wir etwas verändern“, sagt Felix Kolb. Dass man die Hoffnung nie aufgeben soll, ist für ihn nach den vielen ­Jahren bei Campact inzwischen eine Gewissheit.

Mehr Informationen unter: campact.de