Manchmal muss man in die Ferne schweifen, um das Naheliegende wertschätzen zu können. Ein Blick aus dem Weltall auf unseren Planeten zum Beispiel verdeutlicht, dass die Erde eine Oase ist, mitten im schwarzen Nichts. Ge­fährdet weniger durch kosmische Bedrohungen als durch ihre eigenen Bewohner, die Menschen. Diese Erkenntnis hat auch Virginia Sonntag-O’Brien gewonnen, als sie in den 1980er-Jahren im Freiburger Planetarium war und dort das erste Mal vom Treibhauseffekt und seinen Auswirkungen erfuhr. „Ich war der Musik wegen von New York nach Freiburg gezogen. Mit Umweltthemen hatte ich damals wenig am Hut“, gesteht sie.

Die virtuelle Reise ins Weltall öffnete ihr die Augen – und führte dazu, dass sie sich ihr ganzes Berufsleben lang für mehr Klimaschutz einsetzte. Zuletzt als Leiterin des Erneuerbare-Energien-Netzwerks REN21 bei den Vereinten Nationen. Dabei hat sie die Überzeugung gewonnen, dass man den Klimaschutz keinesfalls nur auf den Einzelnen abwälzen sollte. „Natürlich kann jeder etwas tun und sein Verhalten ändern. Aber man darf die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen. Es braucht eine Änderung des Systems, der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.“

Die Kosten realistisch darstellen

Eine Initiative aus Südbaden sah das genauso und zwar mit einem einzigen Mittel zum Zweck: einer nationalen CO2-Abgabe auf Kohle, Öl und Erdgas. Virginia Sonntag-O’Brien war schnell von dem Konzept überzeugt und ließ sich deshalb nicht lange bitten: Zusammen mit 120 anderen Akteuren gründete sie am 27. März 2017 in Freiburg den Verein für eine nationale CO2-Abgabe. „Die Preise für Öl und Gas spiegeln in keiner Weise die wirklichen Kosten der Nutzung fossiler Rohstoffe wider. Eine CO2-Abgabe würde das sofort ändern und den Klimaschutz befördern“, erklärt Sonntag-O’Brien.

Einer der Initiatoren des Vereins ist Jörg Lange. Der promovierte Naturwissenschaftler besuchte im Frühjahr 2016 in Freiburg eine Podiumsdiskussion zum Thema Energiezukunft in Deutschland. Leider war der Abend wenig erbaulich – wieder einmal hatte er sich über die Untätigkeit in Sachen Klimaschutz geärgert und diesem Ärger Luft gemacht. Immerhin: „Nach der Podiumsdiskussion gab es gute Gespräche darüber, was sich eigentlich alles ändern müsste“, erinnert sich Lange. Davon motiviert, machte er sich am nächsten Tag an die Arbeit und begann die seiner Meinung nach nötigen Maßnahmen zusammenzustellen. Nachdem er 30 Punkte no­tiert hatte, kam er zu dem Schluss: Ohne die spürbare Verteuerung des Kohlendioxidausstoßes bliebe alles andere nur Flickwerk. Warum also nicht genau dafür kämpfen? Gedacht, getan: Zusammen mit weiteren Mitstreitern bereitete Lange die Gründung eines Vereins vor, um so dem Thema bundesweit schnell das nötige Gewicht verleihen zu können. Denn für ihn ist klar: „Die CO2-Bepreisung muss in dieser Legislaturperiode kommen, sonst bleibt der Klimaschutz in Deutschland auf der Strecke.“

Ein breites Bündnis für den Wandel

Der Aufruf zur Gründungsversammlung stieß auf großes Interesse: Neben rund 100 privat und beruflich interessierten Menschen, unter ihnen prominente Wissenschaftler wie Ernst Ulrich von Weizsäcker und Joachim Nitsch, waren am Abend des 27. März auch 20 Unternehmen mit insgesamt 1.600 Mitarbeitern präsent. „Mich hat überzeugt, dass sich der Verein auf eine Sache fokussiert und nur eine einzige,  dafür aber zentrale Forderung stellt“, sagt Kaj Mertens-Stickel vom Vorstand der Solar-Bürger-Genossenschaft aus Freiburg, „das macht es sehr konkret.“

Diese eine Forderung lautet: Ein wirksamer CO2-Preis auf Öl, Erdgas und Kohle muss her! Nicht als zusätzliche Abgabe, sondern aufkommensneutral durch die gleichzeitige Abschaffung der Energiesteuer auf Erdöl und -gas, der Stromsteuer sowie der EEG- und KWK-Umlage. „Bürger und Unternehmen zahlen damit insgesamt nicht mehr, aber es profitiert derjenige, der sich klimagerecht verhält. So schafft man einen starken Anreiz, den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermeiden“, erläutert der Mitbegründer der Elektrizitätswerke Schönau, Michael Sladek, der ebenfalls zum Kreis der Initiatoren des Vereins zählt. Als anfäng­lichen Abgabensatz schlägt der Verein 40 Euro pro Tonne CO2 vor.

Mit einer nationalen CO2-Abgabe wäre Deutschland tatsächlich in guter Gesellschaft: Finnland und Polen beispielsweise haben bereits 1990 eine entsprechende Abgabe eingeführt, später folgten Schweden, Norwegen, Dänemark und die Schweiz. Zuletzt kamen England, Frankreich, Süd­afrika und Chile dazu.

Quer durch alle Parteien

Nur ein knappes Jahr nach der Gründung hat der Verein mehr als 700 Mitglieder, einen hauptamtlichen Lobbyisten in Berlin und schon einiges erreicht: Selbst die sonst staatlichen Eingriffen gegenüber skeptische Frankfurter Allgemeine Zeitung warb in einem Artikel Ende September 2017 für eine CO2-Abgabe. Und auch immer mehr Politiker machen sich inzwischen für die Idee stark, quer durch alle Parteien. Besondere Aufmerksamkeit zog die Aktion eines süddeutschen Jamaikabündnisses auf sich: Mitte Oktober 2017 machten die Bundestagsabgeordneten Armin Schuster von der CDU, Kerstin Andreae von den Grünen und Christoph Hoffmann von der FDP ihren Beitritt zum Verein zeitgleich öffentlich, um damit für die Einführung einer CO2-Abgabe zu werben.

Virginia Sonntag-O’Brien ist zufrieden mit dem, was der Verein bisher erreicht hat. Inzwischen hat sie Enkelkinder und will alles dafür tun, dass die Erde auch dann noch eine Oase im Weltall ist, wenn ihre Enkel längst erwachsen sind.

Wir sind auf keinem guten Weg

Mehr zum Verein „CO2-Abgabe“ unter https://co2abgabe.de/.

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