Lieber Christof, schon seit 14 Jahren lebst du nach dem Prinzip des Minimalismus. Was muss man sich darunter vorstellen?
Es gibt ja dieses Klischee von dem Minimalisten, der nichts hat und mit einem Glas Wasser in der Ecke sitzt … so bin ich nicht. Meine Definition von Minimalismus ist, den Ballast im Leben ausfindig zu machen und diesen soweit zu reduzieren wie möglich. Da geht es auch, aber längst nicht nur um Konsum: Aktivitäten, Fernreisen, Erwartungen, Menschen in unserem Umfeld. Auch das kann alles Ballast sein.
Das ist aber nur meine Variante des Minimalismus. Es gibt viele verschiedene Definitionen. Für jemand anderen ist ein Langstreckenflug vielleicht kein Ballast, sondern mit etwas sehr Schönem verbunden. Dann wären Fernreisen für diese Person trotzdem mit dem Konzept des Minimalismus vereinbar. Oder ein anderes Beispiel: Wenn jemand gerne liest und seine große Büchersammlung wertschätzt, ist er trotzdem für mich Minimalist. Es geht nicht darum, nichts zu besitzen, sondern bewusst zu wählen, was man hat und tut.
Welche Vorteile ziehst du aus deinem minimalistischen Leben?
Der Minimalismus bringt mir in erster Linie mehr Zeit für die Dinge, die mir Spaß machen. Gerade, wenn man Familie hat und einen Ganztagsjob, dann ist Zeit knapp bemessen. Vielleicht ist Lebenszeit das kostbarste Gut, zumindest für Menschen, deren Finanzen gesichert sind. Aber auch wenn man nicht viel Geld hat, bringt ein minimalistischer Lebensstil viel Positives mit sich. Schließlich spart es viel Geld ein, den eigenen Konsum und Aktivitäten zu reduzieren. Das bedeutet auch: weniger Geldsorgen, mehr finanzielle Möglichkeiten. Das bringt Entlastung und nimmt spürbar Druck aus dem Alltag.
Ich gebe heute nur ungefähr die Hälfte von dem aus, was ich vor 15 Jahren ausgegeben habe. Ich könnte in meinem alten Job also halbtags arbeiten! Mittlerweile lebe ich vom Schreiben und von meinem Blog. Die minimalistische Lebensweise hat mir diese Möglichkeit erst eröffnet. Ansonsten hätte ich mich nicht als Autor selbstständig machen können.
Mit dem Minimalismus nimmt man sich in allen Lebensbereichen ein bisschen zurück, und das reduziert insgesamt den Stress im Leben. Wichtig ist, dass man sich freiwillig und bewusst dazu entscheidet, so zu leben.
Wann hast du dich denn dafür entschieden? Gab es für dich einen Wendepunkt?
Das kann ich so nicht sagen … Ich hatte eigentlich ein ganz „normales“ Leben mit einem Nine-to-five-Job in der IT. Viel Kram, viele Verpflichtungen. Ich bin klassisch zweimal für 14 Tage in den Urlaub geflogen. Unter der Woche bin ich mit dem Dienstwagen gependelt. Das kennt man ja … Aber mich hat das alles belastet. Ich habe meinen Job nie gerne gemacht, weil ich da aber viel Zeit verbracht habe, hat mich das unglücklich gemacht. Aus der Unzufriedenheit entstand ein ungesunder Lebenswandel mit schlechter Ernährung und wenig Bewegung. Und dann habe ich allen Mut zusammengenommen und einfach alles hingeschmissen.
Was hast du dann gemacht?
Ich habe ziemlich viel gekündigt: Wohnung, Job, Versicherungen. Und dann bin ich aufs Fahrrad gestiegen. Morgens habe ich noch mit Freunden gefrühstückt und bin einfach von der Haustür losgeradelt – erst mal bis nach Jordanien und Syrien. Das war aber noch vor dem Bürgerkrieg. Von dort bin ich nach Australien geflogen und in Down Under einige Monate mit dem Rad herumgefahren. Dann ging es durch Neuseeland und einmal ganz Südostasien hoch und die letzte Station waren zwei Monate in China. So kamen in 1,5 Jahren 20.000 Kilometer zusammen.

In seinem Buch beschreibt Christof Hermann, dass Minimalismus auch im Kleinen beginnen kann. Jeder kann sich die Frage stellen: Welche Motivation treibt mich an, ist es Verpflichtung oder Freude an der Sache? | Foto: Christof Herrmann / Unternehmen
In dieser Zeit hatte ich meinen ganzen Haushalt in ein paar Fahrradtaschen dabei: das Zelt war mein Schlafzimmer, ein paar Klamotten der Kleiderschrank, der Waschbeutel das Bad, ein Kocher meine Küche, mein Fahrrad das Transportmittel, zwei Bücher meine Unterhaltung. Da habe ich gesehen, dass ich mit so wenigen Dingen auskomme. Das Gefühl stellte sich erstmals bei der Reisevorbereitung ein, als ich entrümpelt habe. Es war so befreiend, viel von dem Kram loszuwerden. Als ich von der Radweltreise zurückkam, stand fest, dass ich einfacher und mit weniger leben möchte. Und ich wollte definitiv nachhaltiger leben.
Die Reise hat also dein Umweltbewusstsein geschärft. Wie hängen für dich denn Minimalismus und Nachhaltigkeit zusammen?
Auf so einer Reise sieht man auf der einen Seite, wie schön die Erde ist. Aber ich habe auch hautnah erlebt, wie stark wir Menschen in die Umwelt eingreifen und sie an vielen Stellen zerstören. Da begann für mich ein Umdenken. Viel Konsum, viele Flüge, viel Tierliches essen – das ergibt einen extrem schlechten Fußabdruck. Wir leben in Deutschland eigentlich fast alle über dem, was wir uns erlauben könnten. Das wollte ich nicht mehr.
So bin ich dann auch bei der UmweltBank als Kunde angekommen. Meine Finanzen nachhaltig zu gestalten, war ebenfalls eine bewusste Entscheidung.
Ich lebe heute auch vegan, weil mir das Tierwohl wichtig ist. Aber Minimalismus, Veganismus und Umweltschutz waren für mich eigentlich drei einzelne Entscheidungen. Trotzdem hängen sie natürlich zusammen. Wenn du minimalistisch lebst und wenig konsumierst, bewusst mit Lebensmitteln umgehst, lebst du direkt nachhaltiger. Meist führt ein minimalistisches Leben wie von Zauberhand zu einem geringere CO2-Fußabdruck und zu mehr Nachhaltigkeit.
Fällt es dir nicht manchmal schwer, auf bestimmte Luxusgüter oder Genüsse zu verzichten?
Naja, ich weiß gar nicht, ob ich so viel verzichte … Okay, ich würde eigentlich gerne mal wieder auf die Kanaren fliegen, am liebsten nach El Hierro. Diese Reise mache ich bewusst nicht; das ist ein Verzicht. Ich fliege aus Gründen der Nachhaltigkeit nicht mehr. Aber vielleicht gönne ich mir diese Reise in ein paar Jahren, wenn ich das Gefühl habe, dass es für mich wichtig ist, diese eine Reise zu machen. Und dann mache ich wieder ein paar Jahre Flugpause.
Hast du Tipps für Menschen, die vielleicht in kleinen Schritten minimalistischer Leben möchten?
Ein guter Anfang ist es, bei Aktivitäten genauer hinzuschauen. Wenn eine Einladung kommt, sich zu fragen, ob man das jetzt wirklich gerne macht, oder ob das eher eine Verpflichtung ist. Klar, niemand möchte die Menschen in seiner Umgebung vor den Kopf stoßen. Aber ich glaube, zu oft ist das Resultat, dass Menschen Verpflichtungen eingehen, die sie eher belasten als ihnen Freude zu bereiten. Vielleicht kann man den Kalender durchgehen und überlegen: Was macht mir wirklich Freude? Worauf kann ich verzichten, ohne jemanden zu verletzen? Solche kleinen Schritte bringen schon etwas.
Ballast nimmt jeder unterschiedlich wahr. Manche Menschen haben Ballast durch Dinge, andere besitzen wenig, aber haben Ballast im Terminkalender. Wieder andere haben viel Zeit und wenige Dinge, aber Ballast in Form von Chaos im Kopf. Dann muss man dort ausmisten. Das bringt auch positive Energie und Dankbarkeit – ein guter Einstieg.
Vielen Dank für die interessanten Einblicke und Tipps zum Minimalismus. Wir wünschen dir mit dem Blog und deinem Buch weiterhin viel Erfolg.
Christof Herrmann hat nach einem Informatik-Studium zunächst im IT-Bereich gearbeitet. Dann änderte er sein Leben vollständig und ging auf Radweltreise. Seitdem lebt er minimalistisch. Sein Blog www.einfachbewusst.de ist der meistgelesene deutschsprachige Blog zum Thema Minimalismus. Erst kürzlich ist sein neues Buch „Das Minimalismus-Projekt – 52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein“ bei Gräfe und Unzer erschienen.
Minimieren statt Maximieren
Minimieren statt Maximieren,
das ist leicht zu kapieren,
denn weniger ist oft mehr,
das ist nicht schwer.
Aber ich will nicht weniger haben,
sonst werde ich versagen?
Was ist denn wirklich mehr?
Dreimal im Jahr in den Urlaub fahren,
hinter jeden Trend her jagen?
Oder an einem Ort zu verweilen,
sich die Welt mit der Zeit zu teilen?
Ist die Welt dann immer noch leer?
Als Kind erfreute ich mich meines selbst gebastelten Fahrrads,
Immer noch nähe ich mir Kleidung aus den alten Stoffen meiner Kinder.
Der Lohn dieser Arbeit liegt in der Ruhe selber,
ich denke nach, mein Verstand wird heller.
Außerdem werde ich nicht mit weniger sterben,
weil meine Kinder eine bessere Welt dann erben.
Ist so alt der Spruch mit „Weniger ist mehr!“
Aber das Geheimnis liegt im „in der Ruhe liegt die Kraft“.
Wenn ich warte und betrachte – ist nie etwas leer,
gesehen und verstanden, dann hat man es geschafft.
Also werde ich nicht weniger bekommen,
noch besser, ich habe niemanden etwas genommen.
Hier noch Beispiele aus einem einfachen Leben,
mit dem Fahrrad statt dem Auto zur Arbeit fahren,
ab und zu mal etwas Vegetarisches garen,
gehe ich dann noch außer Haus,
bleibt die Heizung klein oder aus.
Dann, einen Fahrstuhl kenne ich nicht,
mit dem Faulsein ist hier Schicht.
Danach tue ich auch noch streben,
minimalisiere ich meinen Lebensstil geschickt,
maximiere ich mein Lebensglück.
Einen neuen Lebensstil zu planen und erreichen,
müssen Faulheit und Trägheit weichen.
Jetzt bin ich trainiert – kann eine große Zukunft sehen,
investiere ethisch und ökologisch – in großen Ideen.
Jetzt habe ich zukünftigen Generationen nichts geklaut,
habe durch Minimalisieren eine neue Welt gebaut.
Lebe zufrieden mit dem „Wenigen“,
in Wirklichkeit ist da viel mehr drinnen.
Die Reportage hat mir gut gefallen,
darum ist mir das hier eingefallen.
Der angezeigte Kommentar ist vom November 2020. Der Artikel ist also auch schon über zwei Jahre alt!
Nichts Neues in Nürnberg?
Hallo Herr Hermann,
Sie würden gern mal wieder nach El Hierro? Geht auch ohne zu fliegen. Navieras Armas fährt die Insel ab Tenerife an. Und bis dahin kommen Sie aus Deutschland per Bahn und Schiff ab Cádiz oder Huelva. Eine gute Reise wünscht RMS.
Traumhaft. Auf diesem Weg möchte ich auch sein. Also: mit kleinen Schritten anfangen und zwar: jetzt..
Sehr sinnvolle Sache ! Ich bin selbst einmal mit dem Rucksack ein Jahr durch die Welt gereist. Man schult das Bewußtsein, die Achtsamkeit, übt Dankbarkeit und Anspruchslosigkeit. Ich kann Christof Herrmann nur zustimmen !