Das Ziel ist klar formuliert. 176 Staaten der Welt haben sich darauf festgelegt. Die globale Erderwärmung soll auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Laut wissenschaftlichen Berechnungen müssten dafür die weltweiten Treibhausgase in den kommenden Jahrzehnten bis spätestens 2065 von aktuell 40 Milliarden Tonnen pro Jahr auf null gesenkt werden. Und damit die Rechnung am Ende aufgeht, brauchen wir bis dahin zudem Technologien, die wir heute noch nicht haben, um sogenannte Negativemissionen zu realisieren. Es ist ein gewaltiger Kraftakt, der der Menschheit da bevorsteht, denn unser Wirtschaften beruht heute noch hauptsächlich auf fossilen Rohstoffen.

Wir Deutschen? Sind das nicht die Chinesen, die die Luft verpesten?

Schaut man sich die Zahlen der Internationalen Energieagentur von 2018 an, erkennt man ein deutliches Gefälle zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern in Sachen Pro-Kopf-CO2-Emissionen: Ein Deutscher verursachte 8,9 Tonnen, ein US-Amerikaner satte 15 Tonnen und ein Inder schlanke 1,6 Tonnen im Jahr 2018. Der Bericht der Agentur, der die Interpretation der Zahlen mitliefert, weist darauf hin, dass ein nicht unerheblicher Teil der Emissionen in Ländern wie z. B. China auf die Produktion von Gütern für den Export zurückgeht. Kurz: Von den statistischen 6,6 Tonnen an CO2-Emissionen, die jedem Chinesen zugerechnet werden, müssten wir eigentlich noch ein paar mit auf unser deutsches Konto nehmen.

Wie sieht es in Sachen Nachhaltigkeit vor unserer eigenen Haustür aus?

Auch wenn wir uns in Deutschland gerne anders sehen, muss man nüchtern konstatieren: Wir Deutschen wirtschaften nicht effektiv nachhaltig. Dabei ist Nachhaltigsein seit geraumer Zeit hip wie nie und mittlerweile eine richtige gesellschaftliche Bewegung geworden. Schleppen wir nicht alle Stoffbeutel durch die Gegend? Trennen wir unseren Müll nicht alle weltmeisterlich und bewegen uns präferiert mit E-Bike und Tretroller durch die Stadt? Nicht zu vergessen die 10 % Biokraftstoff, die dem Benzin an den Tankstellen beigemischt sind. Ist doch alles gut für die Umwelt, oder?

Das Thema Nachhaltigkeit hat gefühlt Rückenwind wie nie, wie man an den Ergebnissen der Europawahl gut ablesen kann. Betrachtet man die Sache jedoch etwas genauer, muss man feststellen, dass es mit effektiver Nachhaltigkeit nicht weit her ist. Um nur einige Entwicklungen der letzten Jahre aufzuzählen, gegen die der positive ökologische Effekt des Stoffbeutelschleppens richtig possierlich wirkt: Wir Deutschen und unsere Produkte sind heute so mobil wie nie. Wir fliegen wie die Weltmeister rund um den Globus. Wir transportieren Tonnen von Gütern von A nach B und feiern unsere Exporterfolge. Wir fahren so viel Auto wie nie. Niemals zuvor hatten Menschen so viele Klamotten im Schrank und Elektrogeräte im Haushalt. Und nie waren die Müllberge höher, schmolzen die Polkappen schneller und nahmen die Plastikteppiche in den Weltmeeren mehr Fläche ein. Sie erinnern sich vielleicht an die Bilder von deutschen Verpackungen auf malaysischen Müllkippen?

Warum tun wir uns mit echter Nachhaltigkeit so schwer?

Ganz nüchtern ökonomisch betrachtet, ist es für den Einzelnen häufig nicht rational, wirklich nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Geht es darum, im Urlaub nach Mallorca zu fliegen oder zuhause Balkonien zu genießen, findet das Abwägen des Für und Wider rein auf persönlicher Ebene statt. Wir berücksichtigen dabei unser persönliches Budget (ist es kleiner, wird es häufig Balkonien), den Reiz der Urlaubsdestination (da hat Mallorca wohl in den Augen vieler einiges zu bieten) sowie die Bequemlichkeit bei der Anreise (da wären wir dann beim Flugzeug). Und, auch nicht zu unterschätzen, das Urlaubserlebnis muss sozial etwas hermachen. Ganz drastisch ausgedrückt: Sich bei der Entscheidungsfindung Klimatote vorzustellen, übersteigt augenscheinlich unsere menschlichen Fähigkeiten. Am Ende fallen ökologische Faktoren bei der individuellen Entscheidung oft nicht so ins Gewicht, wie sie es aus Sicht des Wohlergehens der gesamten Menschheit eigentlich müssten. Und falls doch, dann ist es für das ökologische Gewissen ungemein befreiend, sich vor Augen zu führen, dass der eine Flug, den man da macht, im Vergleich zu der ganzen Fliegerei auf der Welt nicht ins Gewicht fällt. Auf den einzelnen, mich, kommt es da auch nicht mehr an.

Aber das Ganze ist nun einmal die Summe aller Einzelteile. So müssten wir, und da klopft der alte Kant an die Tür, vor der wir gerade kehren, uns bei jeder Entscheidung die Frage stellen, was eigentlich passieren würde, wenn viele andere sich genauso verhielten, wie ich das gerade vorhabe. Also, Gedankenspiel: Alle 80 Millionen Deutschen setzen sich in einen Ferienbomber nach Mallorca oder meinetwegen auch in einen Linienflug mit dem Ziel Bildungsreise in Lissabon. So viele Stoffbeutel können wir gar nicht tragen, um diesen CO2-Ausstoß wettzumachen. Und wenn erst noch die 1,386 Milliarden Chinesen mit ins Flugzeug steigen. Uns schwant nichts Gutes.

Nachhaltigkeit fällt leicht, solange sie keinen Verzicht bedeutet. Den Coffee-to-go im Recup machen da viele noch mit. Aber für den Klimaschutz sich den Kaffee ganz zu verkneifen? Ein No-Go! Dabei hat Kaffee eine ziemlich miese CO2-Bilanz.

Es muss nicht immer Mallorca sein, auch Balkonien hat viel zu bieten. | Foto: Artur Aleksanian/ Unsplash

Und wenn wir uns dazu entscheiden, die Wende nicht zu schaffen?

Bei Lichte betrachtet, ist die Sache ganz einfach. Wir stehen vor einer Entscheidung mit zwei Wahlmöglichkeiten. Möglichkeit Nummer 1 ist die echte Nachhaltigkeitswende. Möglichkeit Nummer 2 ist ein So-Weitermachen wie bisher. Letzteres heißt, wir gehen weiter in kleinen Schritten. Da brauchen wir dann aber irgendwann ein Wunder technischer Art, wenn wir die 2 Grad-Celsius-Marke noch halten wollen. Wenn wir das hinbekommen – alles roger. Wie dieses technische Wunder dann genau aussehen müsste, da bin ich ehrlich gesagt überfragt. Aber es müsste wohl schon ein richtig großer Wurf sein.

Kommt ein solches technisches Wunder nicht oder nicht rechtzeitig, wird das Weltklima in eine sogenannte Heißzeit übergehen mit heute noch nicht exakt absehbaren grundlegenden ökologischen und damit wohl auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Wir werden als Menschheit dann also angepasst. Schön wird das wohl nicht. Aber mittlerweile gibt es auch sie schon, diejenigen, die davon träumen und fleißig daran arbeiten, einen möglicherweise in absehbarer Zukunft lebensfeindlichen Planeten Erde gen Weltraum zu verlassen. Einfach den ganzen, auf Erden verzapften Mist zurücklassen und auf einem fernen, unberührten Planeten neu anfangen. Wobei das dort wohl doch eher ein So-Weitermachen sein wird, oder würden Sie auf der Erde 2.0 etwa auf Ihren SUV verzichten wollen?

Wenn wir uns dafür entscheiden, wie sieht es wohl aus, das Leben mit Nullemissionen?

Wenn wir uns dafür entscheiden, eine echte Nachhaltigkeitswende herbeizuführen, haben wir deren Ausgestaltung selbst in der Hand. Der Kern einer solchen echten Nachhaltigkeitswende liegt in einem Bewusstseinswandel. Im Grunde bedarf es einer Veränderung dessen, wie sich der Einzelne in einem neuen System des Wirtschaftens definiert. Wie so ein Leben mit Nullemissionen konkret aussehen könnte, darüber haben sich viele kluge Köpfe bereits Gedanken gemacht. Die Herausforderung wird sein, neue Formen des Nutzens von Dingen zu erfinden, um generell die Zahl der produzierten Güter und damit den Verbrauch von Ressourcen vermindern zu können. Das Konzept der Sharing Economy zielt genau in diese Richtung. Wir werden Produkte generell länger nutzen und eher reparieren als heute. Das erfordert ein grundlegendes Umdenken der Industrie und auch eine Veränderung des Bildungssystems. Auch wird ein Leben mit Nullemissionen eine gewisse Sesshaftigkeit bedingen und das Wirtschaften wird insgesamt viel regionaler ausgerichtet sein.

Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, ob Ihnen als Einzelne oder Einzelner da etwa Genügsamkeit abverlangt werden wird. Da sollten wir uns nichts vormachen, das wird es wohl. Aber so ein grundlegender Umbruch tut auch die Chance auf, sich von bestimmten Zwängen, auch materiellen, zu lösen und damit neue Freiheiten zu gewinnen. Wenn wir es richtig anstellen, werden wir weder am Hungertuch nagen noch nie mehr aus den eigenen vier Wänden raus kommen. Aber das Prassen von heute wird passé sein.

Die grundlegende Frage ist, ob das Leben mit Nullemissionen weniger lebenswert sein wird

Das klingt schrecklich nach Verzicht, Askese, wenig Spaß? Werden wir dann dasitzen und sagen „Früher war mehr Lametta“? Moment, warum so negativ? Wenn man eine solche grundlegende Veränderung angehen will – ich schreibe bewusst von einer Wende – dann doch mit Selbstvertrauen und Zuversicht! Das Gute am Menschen ist doch, dass er sich an so einiges anpassen kann und ziemlich findig ist. Das hat er im Laufe der Evolution eindrücklich bewiesen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir Menschen vieles können, nur eben eines nicht: dauerhaft in einer lebensfeindlichen Umgebung bestehen. Auf was warten wir dann eigentlich noch? Bleiben wir positiv und packen wir es an! Wir haben doch zum Glück die Wahl. Noch.

Hinweis: Dieser Kommentar spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wider. Die Mitarbeitenden der UmweltBank sind umweltbewusst und haben doch unterschiedliche Vorstellungen davon, was grün ist. Als lebendiges Unternehmen führen wir diesen Diskurs offen und veröffentlichen hier in unregelmäßigen Abständen persönliche Kommentare.