Der Träger des Deutschen Umweltpreises 2021, Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Joosten, steht für engagierten Moorschutz, das wurde bereits im ersten Interview mit ihm deutlich. Was Moore so wichtig für den Klimawandel macht und warum sie sogar doppelt so viel CO2 speichern können wie alle Wälder zusammen, erklärt der Umweltaktivist der UmweltBank im zweiten Teil des Gesprächs. Außerdem hält er ein leidenschaftliches Plädoyer für die Wiedervernässung der in Deutschland bereits zu 95 Prozent trockengelegten Moore.
Moore können, wie man durch Ihre Arbeit inzwischen weiß, einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ihrer jahrzehntelangen Moor-Forschung ist es zu verdanken, dass deren Relevanz für Klimaschutz erkannt wurde. Worin liegt dieser Wert genau?
Wenn es darum geht, wie viel Kohlenstoff sie speichern, bekamen lange nur die Wälder eine sehr hohe Aufmerksamkeit. Die Moore enthalten aber sehr viel mehr Kohlenstoff und das auf viel kleinerer Fläche. Weltweit entsprechen die Flächen aller Moore gerade einmal drei Prozent der Landfläche. Aber sie speichern doppelt so viel Kohlenstoff wie die Biomasse aller Wälder zusammen – und das sind 30 Prozent der Landfläche.
Und was passiert genau, wenn man Moore trockenlegt?
Ich vergleiche das immer mit einem Glas Spreewaldgurken. Die Gurken werden in saures Wasser eingelegt zur Konservierung. So kann man sie über Jahre aufbewahren. Ähnlich ist das mit Torf. Ein Moor ist eigentlich ein ganz großes Glas Gurken. Solange man das Wasser in den Mooren lässt, bleibt diese organische Substanz erhalten. Lässt man das Wasser aber ab, rottet das organische Material unter Einfluss von Sauerstoff weg und wird zu CO2.
Warum werden Moore überhaupt trockengelegt?
Vor allem für die Landwirtschaft, die schließlich im Nahen Osten entstanden ist und somit auf Trockenland fixiert ist. Wir haben das Land an die Nutzung angepasst, statt umgekehrt. 50 Prozent der entwässerten Moore wurden weltweit für die Landwirtschaft trockengelegt, etwa 30 Prozent für die Forstwirtschaft. Und jeweils zehn Prozent für den Torfabbau und für Infrastruktur im Allgemeinen. Und noch immer sind Land- und Forstwirtschaft die wichtigsten Ursachen von Moorverlusten. Das lässt sich auch nicht so einfach ändern. Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Biomasse gebraucht wird für immer mehr Menschen und damit immer weniger in Armut leben. Und wir haben beschlossen, alle fossilen Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Dafür brauchen wir Flächen, wo die nachwachsenden Rohstoffe auch nachwachsen können.
Sind in erster Linie finanzielle Mittel notwendig, um Moore besser zu schützen, oder geht es zunächst noch immer vor allem darum, die Überzeugung für die Notwendigkeit zu schaffen?
Ein Großteil der Moore in Deutschland würde sofort wieder nass werden, wenn man die Pumpen ausschaltet und die Gräben nicht mehr wartet. Die Entwässerung ist kein Zustand, sondern ein steter Eingriff des Menschen. Man muss somit „lassen“ statt „tun“. Am wichtigsten ist es, die Überzeugung zu verbreiten, dass die Wiedervernässung in Anbetracht der Biodiversitäts- und Klimakrise einfach notwendig ist. Das ist ein wissenschaftlicher Fakt. Wenn wir die Zielsetzungen bezüglich der Klimaänderung erreichen wollen, dann geht das nur so. Fakten alleine schaffen aber keine Änderung, dafür braucht es auch Werte: ökonomische und moralische. Und deshalb müssen wir den Wert und die Bedeutung der Moore für den Menschen weiter deutlich machen und diese Wertschätzung in Geld ausdrucken und bezahlen. Moore müssen in den Mainstream der Gesellschaft. Man darf sie nicht wieder vergessen.
Sie haben den Begriff Paludikultur, ein weltweit angewandter Ansatz zur nachhaltigen Nutzung von Mooren, entwickelt. Was ist darunter zu verstehen?
Paludikultur beinhaltet die Produktion von pflanzlichen oder tierischen Erzeugnissen auf (nassen) Moorfböden, wobei der Bodenkohlenstoff bewahrt und die Treibhausgasemissionen minimiert werden. Ein traditionelles Beispiel ist der Anbau von Schilf. Schilf kann auch bei hohem Wasserstand wachsen und man kann das oberirdische Material ernten (z.B. für Dachreet), während gleichzeitig unterirdisch Torfbildung stattfindet.
Welche Alternativen gibt es noch, um Landwirte ihrer Einnahmequelle nicht zu berauben?
Man kann zum Beispiel Torfmoose anbauen, das wird als Substrat im Erwerbsgartenbau sehr stark nachgefragt. Dadurch wird gleichzeitig der fossile Stoff Torf durch einen nachwachsenden Rohstoff ersetzt. In der Nähe von Oldenburg haben wir eine 17 Hektar große Pilotanlage. Als wir mit dem Anbau angefangen haben, haben sich auch viele Beikräuter angesiedelt, für die man sehr viel Geld bekommen kann und die teilweise selten und streng geschützt sind. Die kann man auch gezielt anbauen. Zum Beispiel Sonnentau, für das es aus der Pharma-Industrie eine große Nachfrage gibt. Schon im Mittelalter wurde Sonnentau verwendet, um Lungenkrankheiten zu heilen. In Europa haben wir nicht viele Nahrungsmittelpflanzen, die sehr nass wachsen können (wie beispielsweise Reis in Asien). Es gibt aber den Schwimmfarn Azolla, der mehr Eiweiß enthält als Soja. Das könnte man auch in der Nahrungsmittelindustrie verwenden. Und wir sind ja gerade erst dabei, so viel mehr zu entdecken. Aber eine wichtige Einkommensquelle für die Landwirte wird in den kommenden Jahrzehnten die Erzeugung und Vermarktung von Kohlenstoff-Zertifikaten aus der Moorwiedervernässung sein.
Die Abbaulizenzen für Torf laufen in etwa 15 Jahren aus. Aus politischen Gründen werden keine neuen mehr vergeben. Reicht das aus?
Nein. Das Problem ist, dass Torf durch die Urbanisierung der Welt derartig in unserer Gesellschaft nachgefragt ist. Jeder Konsument will, dass jedes Gemüse nahezu zu jeder Jahreszeit unbeschränkt verfügbar ist. Und um das zu schaffen, braucht man zuverlässige Substrate. Und das beste Zeug, solche Substrate herzustellen, ist einfach Torf. Noch ein Beispiel: Du gehst in den Supermarkt und willst eine Topfpflanze kaufen. Dann nimmst du die, die schon ein paar blühende Blüten hat, aber noch genügend geschlossenen Knöpfe für die nächsten Wochen. Dazu löst die Supermarkt-Kette eine Riesenbestellung aus für Pflanzen, die genau an den Tagen, in denen sie in den Regalen stehen, alle so aussehen und der Kunde sie dann auch kauft. So etwas kriegt man nur unter vollständigen kontrollierten Bedingungen hin. Und somit nur mit vollständig zuverlässigen Substraten. Leider ist bis jetzt Torf für diese Zwecken am besten und am billigsten… Verringerung der Torfverwendung wird nur möglich sein, wenn massenhaft qualitativ-hochwertige Alternativen verfügbar sind. Aber daran arbeiten wir mit unserem Torfmoosanbau und andern Forschungsprojekten.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner forderte im Sommer 2020 die Bau- und Supermarktketten dazu auf, auf freiwilliger Basis torfhaltige Blumenerden aus dem Sortiment zu nehmen. Was hat die Bundesregierung sonst konkret schon dazu beigetragen, die Moore zu schützen?
Das ist eine zweischneidige Sache: Tatsächlich müht sich das Landwirtschaftsministerium darum, die Nutzung von Torf stark zu mindern und zu beenden und dafür bekommt es auch sehr viel Aufmerksamkeit. Interessanterweise hat die gleiche Ministerin das viel größere Problem jedoch blockiert – nämlich die landwirtschaftliche Nutzung von entwässerten Mooren. Die Torfminderung sieht somit eher aus wie ein Ablenkungsmanöver als eine konsistente Politik. Aber das wird sich –nehme ich an – mit der neuen Regierung ändern.

Prof. Dr. Dr. Hans Joosten, geboren am 15. März 1955 in Liessel, Niederlande ist Biologe und Professor für Moorkunde und Umweltaktivist.
Lesen Sie auch was Herrn Joosten die Auszeichnung bedeutet und worin der eigentliche Wert seiner Arbeit liegt. Diese und weitere spannende Inhalte finden Sie im Teil 1 der Interviewreihe.