Liebe Maren, Journalismus soll doch in erster Linie informieren und das möglichst ausgewogen. Ist daran etwas falsch? Und was macht der Konstruktive Journalismus richtig?

Genau das tut er aktuell im Mittel leider sehr einseitig: Zahlreiche Studien und Befragungen zeigen, dass der Großteil der Bevölkerung ein verzerrtes, zu negatives Weltbild hat. Das liegt vor allem daran, dass über Negatives sehr viel mehr berichtet wird, teilweise kommen auf eine positive Nachricht über den Arbeitsmarkt zwanzig negative – obwohl er sich im Untersuchungszeitraum positiv entwickelt hat.

Auf der Website des von dir mitgegründeten Online-Magazins Perspective Daily erklärt die Redaktion, dass Online-Medien mehr tun sollten, „als Skandale aufzudecken und mit minütlichen Updates um Aufmerksamkeit zu buhlen.“ Wie empfindest du denn vor diesem Hintergrund die Berichterstattung über das Corona-Virus?

Auch wenn ich eben gerade über „Mittelwerte“ gesprochen habe, gibt es natürlich zu jeder Zeit guten und schlechten Journalismus. Das heißt, ich versuche wann immer möglich zu differenzieren, um unterschiedliche Entwicklungen zu verstehen. Was an der aktuellen Lage aus meiner Sicht so spannend ist, ist, dass wir einen historisch sehr seltenen Moment der Aufmerksamkeit auf ein Thema erleben – vermutlich war das in dieser Intensität und Dauer das letzte Mal zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges der Fall. Menschen wachen morgens auf und wollen erfahren, was in den vergangenen Stunden passiert ist, und wie sich die Lage vor Ort und vielleicht auch global entwickelt. Gleichzeitig stellen wir uns kollektiv als Menschheit die Frage: Was jetzt? Wie wollen wir weitermachen? Das ist eine riesige Chance für mehr Konstruktiven Journalismus, der ja genau diese Frage zentral stellt.

Wir sind generell schlecht in der Risikoeinschätzung
und werden häufig erst aktiv, wenn Gefahren Menschen direkt
und vor unserer Nase verletzen.

Prof. Dr. Maren Urner

Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln.

Welche Konsequenzen hat denn eine übermäßig negative Berichterstattung für den Menschen? Und wie kann man sich als Konsument_in davor schützen?

Zunächst einmal sorgt sie dafür, dass wir die Welt negativer sehen, als sie tatsächlich ist und wir entwickeln teilweise Ängste vor Gefahren, die überproportional groß sind. Gleichzeitig können uns schlechte Nachrichten tatsächlich stressen und so unseren ganzen Körper „unter Strom setzen“. Gestresst und ängstlich sind wir allerdings nicht in der Lage die besten – im Sinne von reflektiert und auf unseren Erfahrungen basiert – Entscheidungen zu treffen. Hier gilt das Sprichwort: Angst ist ein schlechter Berater. Bekommen wir andauernd gesagt und gezeigt, dass wir gegen die Probleme dieser Welt nichts ausrichten können, erreichen wir möglicherweise irgendwann den Zustand der sogenannten „erlernten Hilflosigkeit“ und ziehen uns zurück ins Private. Das ist keine gute Entwicklung für eine gelebte Demokratie.

Birgt der Konstruktive Journalismus nicht auch die Gefahr, wichtige Themen zu verharmlosen? Kritiker_innen bezeichnen den Klimawandel beispielsweise gerne als Produkt reiner Panikmache. Die Wissenschaft sieht das geschlossen anders.

Nein. Es geht bei der konstruktiven Berichterstattung nie darum, Probleme zu ignorieren und „Positiven Journalismus“ à la „Katze wurde vom Baum gerettet“ zu veröffentlichen. Stattdessen bedarf es ja nur einer lösungsorientierten Sicht, weil es Probleme gibt, die wir lösen müssen – allen voran der menschgemachte Klimawandel.

Aber Forschende und Journalist_innen scheinen das Gefühl zu haben, dass die Menschen selbst bei dieser drängenden Frage nicht aufhorchen, wenn die Situation nicht in aller Dramatik dargestellt wird. Wie kann der Journalismus eine gute Balance finden?

Das stimmt. Wir sind generell schlecht in der Risikoeinschätzung und werden häufig erst aktiv, wenn Gefahren Menschen direkt und vor unserer Nase verletzen. Genau das haben wir ja auch mit Blick auf die sogenannte Corona-Krise erlebt. Deshalb ist es wichtig, die Folgen des Klimawandels, die aktuell schon überall auf der Welt spürbar sind, sichtbar zu machen – nicht nur an den Tagen mit mehr als 40 Grad. Gleichzeitig müssen Journalist_innen bestehende und zukunftsorientierte Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Das Tolle ist: Die gibt es in den allermeisten Fällen schon, sowohl wissenschaftlich als auch technisch. Das Einzige, was passieren muss: Wir müssen sie annehmen und die Schalter in unseren Köpfen „umlegen“.

Prof. Dr. Maren Urner ist Co-Autorin des Buchs „Globaler Klimanotstand“ von 2020. | Foto: Maren Urner

Wo informierst du dich denn am liebsten, natürlich nicht nur, wenn es um Klimawandel und Umweltschutz geht?

Ich habe da in den letzten Jahren tatsächlich einiges an Routinen und Gewohnheiten entwickelt – und bezeichne das gern als Medienhygiene, über die sich jeder bei sich selbst Gedanken machen kann. Meine entwickelt sich ständig und ich habe auch Phasen, wo ich neu justiere. Generell ist es ein Mix aus Newslettern, Radio, Twitter, einigen Magazinen und natürlich Perspective Daily.

Herzlichen Dank für diese interessanten Einblicke in dein Forschungsgebiet und die vielen Tipps.

Maren Urner studierte Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden und wurde am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit, das erste werbefreie Online-Magazin für konstruktiven Journalismus, leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. Seit Oktober 2019 ist sie Professorin für Medienpsychologie an der HMKW in Köln. Ihr erstes Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ erschien im Juni 2019 und wurde zum Bestseller. Im März 2020 erschien das Buch „Globaler Klimanotstand“, an dem sie mitgeschrieben hat.