Frau Hess, Ihnen wurde natürliches Spielzeug vermutlich buchstäblich in die Wiege gelegt. Schließlich gründete Ihr Vater mit Geburt seines ersten Kindes die bekannte Öko-Marke hessnatur. Womit haben Sie denn als Kind am liebsten gespielt?

Interessanterweise hatten wir nicht so viel Spielzeug. Unsere Eltern haben das schon damals sehr reduziert und bewusst ausgewählt, was bei uns im Kinderzimmer steht. Wir waren viel draußen und haben mit allem gespielt, was uns die Umgebung bot. Stöcke, Steine, Pflanzen… Wir hatten außerdem das Glück zuhause und bei den Großeltern einen Garten zu haben. Der Garten bei Oma und Opa war ein Nutzgarten mit Kräutern, Obst und Gemüse. Da haben wir Geschwister viel Zeit verbracht. Aber ich erinnere mich sehr gut an mein Lieblingskuscheltier, einen Affen. Mein Bruder hatte einen Hund. Die beiden haben wir viele Jahre lang überall hin mitgenommen. Und das ist genau die Philosophie, die wir heute bei Livipur umsetzen: langlebige, nachhaltig gedachte Produkte, die Kinder durch ihre gesamte Kindheit begleiten.

 

In Ihrem Online-Shop Livipur gibt es neben Kleidung vorwiegend Naturspielzeug. Was sind denn die Unterschiede zwischen herkömmlichem und Öko-Spielzeug?

Das ist nicht leicht zu beantworten, denn die Grenzen sind wie bei vielem fließend. Die größten Unterschiede liegen vermutlich im Spielkonzept und im Umweltaspekt. Ich meine damit, dass unsere Spielzeuge der Fantasie des Kindes sehr viel Freiraum geben. Bei einem normalen Plastikspielzeug ist das eher nicht der Fall. Eine Barbie-Puppe beispielsweise gibt Kindern vieles vor: Sie ist weiblich, hat einen gewissen Gesichtsausdruck, man kann die langen Haare kämmen, sie ins Bett legen, an- und ausziehen… Das erscheint auf den ersten Blick so, als könne ein Kind viel damit machen. Aber die Richtung ist dem Kind klar vorgegeben und die Spielmöglichkeiten sind schneller erschöpft, als man denkt.

Ökospielzeug gibt der Fantasie mehr Spielraum.

Julia Hess

Geschäftsführerin , Livipur Kinder. Spiel. Versand GmbH

Die Waldorf-Püppchen haben im Gegensatz zur Barbie gar kein richtiges Gesicht. Das Kind entscheidet im Spiel für sich allein, ob das Püppchen Mädchen oder Junge, traurig oder glücklich ist. Die Spielzeuge von Livipur reduzieren Form und Farben bewusst, sodass die Kinder sich ausdenken können, wie sie damit spielen. Beispielsweise haben wir sehr belastbare Filzschnüre, die zunächst keinen Zweck erfüllen. Aber geben Sie diese mal einem Kind in die Hand und sie werden sehen, was daraus alles wird: Eine Pferdeleine, eine Angel, eine Schlange, eine Schaukel, Flechten. Eltern haben uns einmal ein Foto davon geschickt, wie ihre Kinder aus den Filzschnüren eine Seilbahn gebaut haben. Die Kinder transportieren damit nun Gegenstände zwischen mehreren Stockwerken hin und her.

Das ist das Schöne am Naturspielzeug: Das Spielzeug gibt nur einen Impuls, das Spiel entwickelt das Kind dann alleine. Und das ist enorm wichtig für eine gute und gesunde Entwicklung des Kindes. Dazu kommt dann wie erwähnt noch der Umweltaspekt, der sicherstellt, dass im gesamten Lebenslauf von Ökospielzeug die Umwelt so wenig wie möglich belastet wird.

 

Welche Rolle spielen die Materialien bei Naturspielzeug?

Die Materialien sind für uns entscheidend und stehen ganz am Anfang, wenn wir ein neues Spielzeug betrachten. Die ersten Fragen lauten immer: Aus welchem Material ist das Spielzeug und wo wurde es hergestellt? Erst wenn wir das geklärt haben, schauen wir uns den Rest an. Unser Spielzeug ist vorwiegend aus Holz, Bio-Baumwolle und Bio-Wolle. Dabei geht es natürlich um die gesundheitliche Verträglichkeit, um die Nachhaltigkeit eines Rohstoffes, aber beispielsweise bei der Bio-Wolle auch um das Tierwohl, und wir achten auf faire Arbeitsbedingungen in der Produktion.

Wir haben auch einen kleinen Anteil synthetischer Materialien oder Plastik, aber dann muss es zertifiziert sein, sonst kommt es nicht in unser Sortiment. Schadstoffe, Schwermetalle und Weichmacher schließen wir komplett aus. Bei Farben setzen wir auf speichelechte, überwiegend natürliche Farben. Manchmal ist es so, dass wir ein Spielzeug nicht in der Qualität bekommen, die wir uns vorstellen. Dann sind wir schon dazu übergegangen, es in Eigenregie zu produzieren, bevor wir einen faulen Kompromiss machen.

 

Wenn Sie es manchmal schon nicht schaffen, gutes Spielzeug zu finden, ist es für Eltern ja ungleich schwieriger. Haben Sie Tipps, worauf Eltern beim Spielzeugeinkauf achten können?

Da gibt es eine hilfreiche Grundregel: Wenn vom Grundstoff nicht mehr viel übrig ist, weil das Material so stark bearbeitet wurde, ist das oft kein gutes Zeichen. Das ist wie bei den Lebensmitteln. Da achtet man ja auch auf möglichst wenig Weiterverarbeitung, wenn man sich gesund ernähren möchte. Und versuchen Sie das Spielzeug nicht nur anzuschauen, sondern mit allen Sinnen zu erfassen. Ein gutes Spielzeug regt bei Kindern mehrere Sinne an, es sollte also gut riechen, sich interessant anfühlen und dazu ansprechend aussehen.

Ansonsten sollten Eltern bei den Materialien genau hinschauen: Holz und Stoff ist immer besser als Plastik. Farben sind oft ein Problem, weil darin viele Schadstoffe stecken. Unlackiertes, lasiertes oder gewachstes Holzspielzeug ist grundsätzlich risikofreier.

 

Helfen Siegel beim Spielzeugeinkauf weiter?

Ja und nein… Leider gibt es nicht so viele Siegel, die wir uneingeschränkt empfehlen. Nur das spiel gut-Siegel hebt sich unserer Ansicht nach ab. Der Verein hat ein Verzeichnis mit ausgezeichneten Spielwaren und Kleidung. Bei der Auswahl setzen die Experten vom Verein spiel gut auf Spielzeug, das Kinder motiviert und die Fantasie anregt. Umweltverträglichkeit und Haltbarkeit sind auch stets gegeben. Das ist ganz in unserem Sinne.

Fürs Kind ist eine schadstofffreie Umgebung wichtig!

Julia Hess

Geschäftsführerin, Livipur Kinder. Spiel. Versand GmbH

Abgesehen davon sind weitere Kennzeichnungen hilfreich, beispielsweise Angaben, ob Bio-Baumwolle verwendet wird, oder ob das Spielzeug schadstofffrei ist. Wir haben viele junge Eltern als Kunden, die sagen, dass sie mit dem Thema „Öko-Produkte“ nicht viel zu tun hatten. Als das erste Kind unterwegs war, haben sie sich damit beschäftigt, und merken nun, wie wichtig es ihnen ist, dass das Kind in einer schadstofffreien Umgebung groß wird. Darüber sind wir froh, denn wir glauben, dass für die Entwicklung von Kindern eine zumindest schadstoffarme Umgebung unglaublich wichtig ist.

 

Mehr als 3,1 Milliarden Euro werden jährlich für Spielzeug ausgegeben, das sind rund 290 Euro pro Kind. Spielzeuge, die schon nach kurzer Zeit kaputtgehen, verursachen nicht nur ökologische Probleme. Denn aus dem Spielzeugberg wird ein riesiger Müllberg. Klafft hier eine Bewusstseinslücke bei Eltern?

Ja, mit Sicherheit. Eltern, die vielleicht längst Müll trennen und Verpackung vermeiden, haben das Thema Spielzeug-Schrott nicht unbedingt auf dem Schirm. Eltern rechnen vielleicht auch gar nicht damit, dass viele Spielzeuge schnell kaputtgehen. Gerade die elektronischen Spielzeuge sind ein noch größeres Problem, denn sie müssen eigentlich als Sondermüll entsorgt und recycelt werden.

Bei uns rufen Kunden an, die zu unseren Gründungszeiten vor zwanzig Jahren etwas gekauft haben, was immer noch genutzt und in der Familie weitergegeben wird. Da hängen richtig Erinnerungen dran, und das Spielzeug schafft innerhalb der Familie eine Verbindung. Das finden wir schön, auch wenn es für uns wirtschaftlich natürlich in gewisser Hinsicht schwierig ist. Unsere Betten haben wir Hess-Geschwister alle selbst zuhause. Die halten so lange, dass die Kinder sie beim Auszug mit in ihre eigene Wohnung nehmen können. Wir denken auch über ein Leihkonzept nach. Bei Babywiegen könnten wir das vielleicht umsetzen, denn die nutzen sich ja kaum ab. Dann könnten unsere Kunden die Wiegen zurückbringen und wir verleihen sie weiter. Mal sehen, ob das klappt.

 

Liebe Frau Hess, herzlichen Dank für das interessante Interview und Ihre vielen guten Tipps. Wir wünschen Ihnen mit Livipur von Herzen viel Erfolg.

Julia Hess hat BWL an der Fachhochschule in Frankfurt studiert, Praktika bei namenhaften Marketing-Unternehmen absolviert und sich danach entschieden, direkt ins Familienunternehmen einzusteigen. Seit 2014 führt sie das Unternehmen Livipur zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter.