Seit 15 Jahren ist der größte Teil des Rainer Waldes im Besitz des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) und wird von ihm unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten erhalten und weiterentwickelt. Durch seine Arbeit verbringt Dr. Werneyer viele Stunden im Wald und beobachtet dort seit einigen Jahren genau, was von vonstattengeht. Wir haben mit ihm über den Zustand und die Zukunft unserer Wälder gesprochen.

Martin, wenn du uns mitnimmst auf einen Spaziergang durch unsere Wälder: Wie geht es ihnen gerade?

Insgesamt befinden wir uns nach meiner Ansicht tatsächlich in einer durch den Klimawandel bedingten Umbruchphase. Fichten, Kiefern und Buchen sind im Moment am stärksten betroffen.

Welche Faktoren setzen den Wäldern im Speziellen zu?

Lang anhaltende Trockenphasen in Kombination mit großer Hitze sind hier sicher als erstes zu nennen. Dazu kommen heftige, kurzzeitige Niederschläge, bei denen der Boden einen Großteil des Wassers gar nicht so schnell aufnehmen kann, in Kombination mit starkem Wind. Die Probleme sind dabei in doppelter Hinsicht durch uns selbst verursacht: Zum einen durch den menschengemachten Klimawandel, zum anderen durch plantagenartige Monokulturen, auf die wir in den letzten Jahrzehnten gesetzt haben. Das kann in Wirtschaftswäldern zu einem höheren Gewinn führen. Im Moment wird uns aber klar vor Augen geführt, dass auch das Risiko eines Totalverlustes droht, wie beispielsweise bei der Fichte.

Es gibt das schöne Sprichwort „Was juckt es eine deutsche Eiche, wenn sich eine Wildsau an ihr kratzt?“ Während so ein Wildschwein der robusten Eiche vermutlich wenig anhaben kann, hört man immer wieder, dass der Klimawandel einigen Baumarten ziemlich zu schaffen macht. Wie schätzt du das ein? Gibt es Arten, die generell robuster sind, und andere, die eher mimosenhaft auf die Veränderungen reagieren?

Da muss man zwei Aspekte berücksichtigen: Die Fichte ist ein gutes Beispiel für eine Baumart, die von ihrer Biologie her, kühle, luftfeuchte Lagen bevorzugt. Sie leidet deshalb bei uns an vielen Standorten, an die sie grundsätzlich nicht angepasst ist. Sie wurde vom Menschen dort aus wirtschaftlichen Erwägungen gepflanzt. Dann gibt es noch Baumarten, die Hitze und Trockenheit eigentlich besser vertragen als die Fichte, beispielsweise die Stieleiche. Aber auch sie hat manchmal Schwierigkeiten, mit den raschen Veränderungen der letzten Jahre zurechtzukommen, wie der starken Austrocknung des Bodens bis in große Tiefen.

Der Rainer Wald in Niederbayern wird von Dr. Martin Werneyer betreut. Wird so die Zukunft des deutschen Waldes aussehen? | Foto: UmweltBank AG

Du verbringst jeden Arbeitstag im Wald, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Wie hat sich das Ökosystem an die neuen Umweltbedingungen angepasst? Gibt es Veränderungen, die dich überrascht haben?

Im Rainer Wald kann man sehr schön beobachten, wie die standortfremden Fichten durch Hitze, Trockenheit und den Borkenkäfer in rasantem Tempo regelrecht aussortiert werden. Ein klarer Profiteur der daraus folgenden Auflichtung ist die gerade erwähnte Stieleiche, die ein standortgerechter und prägender Baum des Rainer Waldes ist. Der Waldumbau von der Fichtenmonokultur, die noch aus den Zeiten wirtschaftlicher Nutzung stammt, hin zum Naturwald findet nun wesentlich rascher statt als ursprünglich geplant. Die dabei entstehenden, zunächst baumfreien Sukzessionsflächen tragen maßgeblich zur Artenvielfalt im Rainer Wald bei.

Geschützte, naturbelassene Wälder wie der Rainer Wald erfüllen einen wichtigen experimentellen Zweck: Dort lässt sich beobachten, wie sich Wälder ohne menschlichen Einfluss an die veränderten Klimabedingungen anpassen. Warum sind solche Experimente wichtig?

Leider ist es nicht möglich, alle Faktoren, die am Standort eines Baumes auf ihn wirken, vollständig zu erfassen und für sein gesamtes zukünftiges Leben vorherzusagen. Bis wir soweit sind, sind wir auf Erfahrungen aus naturnahen Wäldern angewiesen, um zukunftsfähige Wirtschaftswälder anzulegen: Wir müssen in den wenigen naturbelassenen Wälder einfach mal zuschauen, welche Baumarten und Individuen sich ohne menschlichen Einfluss durchsetzen und welche Baumgesellschaften sich dort von selbst entwickeln. Diese Beobachtungen können dann in die Planung von Wirtschaftswäldern an vergleichbaren Standorten einbezogen werden. Darüber hinaus ist aber auch der Erhalt einer möglichst großen Artenvielfalt durch naturbelassene Waldgebiete eine wichtige Vorsorge für eine uns noch weitgehend unbekannte Zukunft. Wir wissen noch nicht, welche Arten für uns Menschen in Zukunft große Bedeutung erlangen werden.

Wenn man sich die Berichterstattung zum Thema Wald ansieht, ist diese alles in allem ziemlich dystopisch. Man könnte den Eindruck gewinnen, die deutschen Wälder wären am Aussterben. Ist das denn so?

Großflächige Monokulturen sind bei Veränderungen in der Umwelt immer vom Risiko großer Ausfälle bedroht. Zudem kennen wir das genaue Ausmaß der kommenden Klimaänderungen noch nicht. Wenn man also weiterhin auf solche Plantagen – egal ob mit einheimischen oder fremdländischen Baumarten – setzt, ist zu erwarten, dass es auch großflächige Totalausfälle geben wird. Ein Mischwald aus standortgerechten heimischen Bäumen, im Wirtschaftswald vielleicht in Kombination mit hitzetoleranteren Arten aus der europäischen Nachbarschaft, ist mit Sicherheit viel anpassungsfähiger und wird auch niemals völlig zusammenbrechen.

Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass alle Veränderungen allmählich erfolgen […]. Wenn bestimmte Kipp-Punkte überschritten werden, können auch große Veränderungen plötzlich erfolgen und dramatische Auswirkungen haben.

Dr. Martin Werneyer

Gebietsbetreuer des Rainer Walds in Niederbayern

Wie werden die heutigen Waldgebiete in 100 Jahren aussehen? Erwarten uns karge, verödete Steppen ohne Bäume oder vielleicht tropische Palmenwälder?

Selbst hochqualifizierte Wissenschaftler haben Schwierigkeiten bei Prognosen zur weiteren Entwicklung des Klimas, daher kann ich mir keine Vorhersage erlauben. Sicher ist meines Erachtens nur eines: Es ist ein Irrglaube, dass wir, insbesondere beim Ressourcenverbrauch, einfach so weitermachen können wir bisher. Das gilt nach meiner Überzeugung in vielen Bereichen, ob beim Klimawandel, dem Umwelt- und Naturschutz, der globalisierten Wirtschaft oder in unserer eigenen Gesellschaft. Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass alle Veränderungen allmählich erfolgen und uns viel Zeit geben, zu reagieren. Wenn bestimmte Kipp-Punkte überschritten werden, können auch große Veränderungen plötzlich erfolgen und dramatische Auswirkungen haben. Wenige Jahre mit höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen haben selbst bei uns zu großen Veränderungen geführt – nicht nur im Wald. Dabei sind wir, verglichen mit anderen Gebieten auf der Erde, noch ein klimatisch begünstigter Bereich.

Hast du für uns zum Abschluss noch einen konkreten Ratschlag, was jeder einzelne für die Wälder tun kann?

Wir sollten auch Holz als knappe und wertvolle Ressource begreifen, die nicht für Wegwerfprodukte wie Kaffeebecher eingesetzt werden sollte. Außerdem kann jeder ohne große Einbußen an Lebensqualität auf Recyclingprodukte zurückgreifen, zum Beispiel bei Schulheften oder Druckerpapier. Und ich möchte ausdrücklich dafür werben, auch in unserer dicht besiedelten Landschaft der Natur und natürlichen Wäldern Raum zu geben. Wir können nicht von Ländern mit wesentlich ärmerer Bevölkerung Engagement im Naturschutz verlangen, wenn wir selber bei uns dazu gar nicht bereit sind. Jeder einzelne von uns kann Einfluss nehmen, beispielsweise durch die Mitgliedschaft in einem Naturschutzverband oder durch politisches Engagement. Meiner Meinung nach sind sozialer Friede, Klimaschutz und Naturschutz drei Faktoren, die für unsere Zukunft von großer Bedeutung sind. Und das Beste: Sie lassen sich auch in positiver Weise miteinander verknüpfen.

Der Rainer Wald in Niederbayern

Dr. Martin Werneyer ist Gebietsbetreuer für das mit 245 Hektar größte Schutzgebiet des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern (LBV). Zum Erhalt dieses einzigartigen Naturschutzgebiets spendet die UmweltBank für jede Neukundin und jeden Neukunden 5 Euro an den LBV.