Das Königreich Bhutan liegt im östlichen Himalaya zwischen dem chinesisch besetzten Tibet und Indien. Mit 38.000 km² ist es in etwa so groß wie die Schweiz und bemüht sich ähnlich wie die Alpenföderation um einen eigenen Weg: Statt auf das Wirtschaftswachstum als wichtigstes Kriterium für die Entwicklung des Landes zu schauen, erhebt Bhutan das Bruttonationalglück.
Was ist das Bruttonationalglück?
Den Begriff erschuf König Jigme Singye Wangchuck eher spontan in einem Interview in den 70er Jahren. 1998 griff Premierminister Jigmi Y. Thinley die Idee wieder auf und richtete eine Kommission für das Bruttonationalglück ein.
Das Bruttonationalglück fußt heute auf vier Säulen:
- nachhaltige Entwicklung
- Schutz der Umwelt
- gute Regierungsführung
- Bewahrung kultureller Traditionen
Bhutan ermittelt das Bruttosozialglück mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens, der 750 Fragen enthält. Die erste offizielle Befragung fand 2008 statt, zwei weitere folgten in 2010 und 2015. Laut der letzten Erhebung liegt der Index für das Bruttonationalglück in Bhutan bei 0,756. Demnach gelten 43,4 Prozent der Menschen als glücklich – eine Verbesserung um 1,7 Prozent.
Bhutan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt
Bislang gelten das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die etwas erweiterte Variante, das Bruttonationaleinkommen (BNE), das 1999 das Bruttosozialprodukt ablöste, als die maßgeblichen Größen.
Legt man diese konventionellen, quantitativen Kriterien zugrunde, gilt Bhutan als eines der ärmsten Länder der Welt: das BIP lag 2017 bei nur 3.100 US-Dollar pro Kopf. Zum Vergleich: In Deutschland betrug das BIP pro Kopf im gleichen Jahr knapp 44.500 US-Dollar. Ein Viertel der Menschen lebt von 28 US-Dollar pro Monat und damit unter der Armutsgrenze.
Bruttonationalglück bringt Ruhm, Tadel und Touristen
Dennoch hat sich für die Menschen in den letzten Jahren einiges getan. Dank einer neuen Verfassung ist das Land seit 2008 eine konstitutionelle Monarchie und hat ein Parlament. Die Bewohner haben kostenlosen Zugang zu ärztlicher Versorgung und Bildung. So konnte die Alphabetisierungsrate zwischen 2005 und 2015 auf nahezu 70 Prozent angehoben werden. Dies entspricht einer Steigerung um 12,05 Prozent in zehn Jahren.
Inwieweit die Erfolge auf das Bruttonationalglück zurückzuführen sind, ist jedoch nicht feststellbar. Das Konzept ist einzigartig und bietet daher keine Vergleichsmöglichkeiten. Außerdem gibt es Kritik an der Durchführung der Befragung und der Gewichtung der 33 Indikatoren des Index. Trotzdem bringt das Bruttonationalglück dem kleinen Gebirgsstaat viel internationale Aufmerksamkeit – und damit auch Touristen. Die müssen pro Person eine Tagespauschale von 200 US-Dollar zahlen. Damit schützt sich Bhutan vor Massentourismus, der die Umwelt bedrohen könnte. Denn an der zweiten Säule des Bruttonationalglücks – Schutz der Umwelt – lässt das kleine Land nicht rütteln.
Die Abkehr von BIP & Co.
Aber auch die klassischen Messverfahren BIP und BNE müssen sich zunehmend Kritik gefallen lassen. Beide sind rein volkswirtschaftliche Kennziffern, die Einkommen und Abgaben pro Bewohner aufrechnen. Dabei bleiben externe negative Effekte durch die Wirtschaft unberücksichtigt. Dazu gehören beispielsweise:
- Vernichtung der Umwelt
- Verbrauch von Rohstoffen
- Luftverschmutzung
- Vertreibung von Menschen
Eben jene Faktoren, die Bhutan mit dem Bruttonationalglück durchaus in die Erfolgsmessung aufnehmen möchten.
Hinzu kommt, dass auch diese Kennziffern lückenhaft sind. So werden beim BIP weder die Schattenwirtschaft, noch die Subsistenzwirtschaft erfasst. Unbezahlte Tätigkeiten in der Pflege, Familienarbeit oder Ehrenämter fallen gleichermaßen unter den Tisch. Ein weiterer Aspekt sind rechnerische Verzerrungen.
Beispielsweise sind 43,2 Prozent der Lohnabhängigen in Luxemburg Grenzgänger, was das Pro-Kopf-BIP fast verdoppelt. Besondere Steuermodelle sorgen dafür, dass in Irland besonders viele Unternehmen ihre Gewinne versteuern, obwohl die Umsätze an anderer Stelle generiert werden. Das bläht das irische BIP künstlich auf. Einen Hinweis auf das Wohlergehen der Bewohner oder die Lebensqualität in einem Land können diese volkswirtschaftlichen Größen ohnehin nicht geben.
Zufriedenheit als neuer Maßstab
Nicht nur in Bhutan, auch an anderen Orten auf der Welt, gibt es Ansätze, den Erfolg eines Staates nicht mehr rein an der Wirtschaftskraft zu messen, sondern an der Zufriedenheit der Menschen. Dafür muss man aus Deutschland nicht weit blicken: Der ehemalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy richtete eine Kommission mit fünf Nobelpreisträgern ein, um eine alternative Berechnung zu entwickeln. Dabei galt es, unter anderem das Wohlergehen der Menschen, Familienarbeit, Freizeit und die Unversehrtheit der Umwelt miteinzubeziehen.
Mit dem Better Life Index macht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon seit dem Jahr 2011 die Lebensqualität in verschiedenen Ländern vergleichbar. Dafür erhebt die OECD Daten aus elf Themenfeldern von Bildung bis Sicherheit.
Mittlerweile sind eine Vielzahl an Kennziffern entstanden:
- Der Failed State Index bewertet das Risiko auf Staatszerfall.
- Der Good Country Index bewertet den Beitrag eines Landes zum globalen Wohlstand und Frieden.
- Der Happy Planet Index misst die ökologische Effizienz mit der eine Nation ihr Wohlbefinden generiert.
Die ist nur eine kleine Auswahl. Weltweit gibt es noch viele andere Ansätze, und so hat auch Bhutan seinen eigenen Index gewählt. Ob das einst vom König erdachte Konzept des Bruttosozialglücks von Erfolg gekrönt wird, kann nur die Zukunft zeigen. Aber viel Glück kann man dem Staat dabei auf jeden Fall wünschen.