Es ist ein Hochsommertag im Juli. Wir sind abseits des Pfades unterwegs. Über uns spannen sich riesige Baumkronen auf. Um uns wuchert, soweit das Auge reicht, dichtes Unterholz. Der Boden unter unseren Füßen ist nass, es platscht bei jedem Schritt. Die Luft ist drückend und feucht. Hunderte Stechmücken schwirren um uns herum und lauern auf eine Gelegenheit zum Beutemachen. Wir steigen über umgestürzte, vermodernde Baumstämme, bahnen uns einen Weg durch mannshohes Schilf.
Wir sind unterwegs im Rainer Wald, einem außergewöhnlich artenreichen Auwald mitten in Niederbayern. Er ist mit 245 Hektar das größte Schutzgebiet des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern (LBV). Seit Jahresbeginn 2019 fließen für jeden neuen UmweltBank-Kunden 5 Euro in den Erhalt dieses einzigartigen Lebensraums. Dr. Martin Werneyer, zuständiger Gebietsbetreuer, und Alexander Stark, beide hauptamtliche Mitarbeiter des LBV, haben uns eingeladen, den Rainer Wald zu erkunden und wir sind sehr gerne gekommen!
Brennnesseln und Disteln dürfen wild wuchern
Wir lassen das Dickicht hinter uns und erreichen eine Freifläche im Wald. Auf ihr wächst ein Meer von Brennnesseln und lila blühenden Disteln. Zwischendrin stehen verstreut einzelne Wilde Karden, die die anderen Pflanzen einen guten Meter überragen. Schön sieht es aus, wie die Falter und Libellen darüber tanzen. „Wir müssen da jetzt durch. Also, Arme hoch!“, ruft Martin Werneyer. Er bemerkt unsere skeptischen Blicke. Aber keine Sorge, er habe da etwas vorbereitet, sagt er lachend. Er führt uns paar Meter weiter, wo er am Vormittag eine schmale Passage durch die Brennnesseln gesenst hat, die wir jetzt nehmen, um zu einem kleinen Tümpel auf der anderen Seite zu gelangen.
„Hier haben wir eine echte Rarität!“, Martin Werneyer zeigt auf einen ungefähr drei Meter hohen Busch am Wegesrand, eine Pimpernuss. Ihre reifen Früchte klappern, wenn man sie schüttelt, daher wird sie auch Klappernuss genannt. Sie ist in Deutschland im Donaustromtal eigentlich heimisch, mittlerweile aber sehr selten geworden. Hier im Rainer Wald hat man einige Exemplare gepflanzt. Sie gedeihen prächtig, stellt er fest.
Die Gruppe bahnt sich den Weg durch mannshohes Schilf.
Lange ersehnt: Der erste Laubfroschnachwuchs in den Tümpeln des Rainer Walds
Wir schlagen uns durch die Brennnesseln und erreichen den Tümpel. Die Wasserfläche misst vielleicht fünf mal fünf Meter. Das Wasser ist klar und seicht, man kann den Grund deutlich sehen. Am Ufer haben die Wildtiere, die in der Dämmerung zum Trinken hierher kommen, Spuren hinterlassen. Auf dem Wasser schwimmen die ovalen, hellgrünen Blätter des Laichkrauts. „Jetzt zeige ich euch mal was ganz Besonderes“, Martin Werneyer zückt seinen Kescher und fängt an, im Tümpel zu fischen. Es ist ein Laubfroschhüpferling, den er vor sich im Wasser entdeckt. „Wenn die Witterung passt, geht der heute Nacht an Land, verliert seinen kleinen Schwanzstummel und hat damit die Entwicklung von der Kaulquappe zum Laubforsch abgeschlossen,“ freut sich Martin Werneyer.
Die Laubfrösche liegen ihm am Herzen, das merkt man, wenn man ihm zuhört. Er investiert viel Zeit und Engagement, um diese bedrohte Amphibienart im Rainer Wald heimisch zu machen. Man habe dafür vor einigen Jahren extra Laubfroschlaich hierher umgesiedelt, erzählt er. Dieses Jahr gibt es erstmals eigenen Laubfroschnachwuchs. Gegeben dem, dass der Laubfrosch in Deutschland mittlerweile als extrem bedrohte Art gilt und sogar auf der Roten Liste steht, ein riesen Erfolg.
Nach einigen Metern erreichen wir den geschotterten Rundweg und wähnen uns mit einem Mal mitten in einer Winterlandschaft. Um uns herum ist alles von einer weißen, flauschigen Schicht bedeckt, wie gezuckert. Das seien die Samen der Balsampappel, die hier die Umgebung mit dieser dicken Schicht bedeckten, erklären die Experten vom LBV.
Einer der vielen Tümpel im Rainer Wald. Martin Werneyer hat im Wasser einen Laubfroschhüpferling entdeckt.
Der Unterschied zwischen echtem und „Micky-Maus-Naturschutz“
Der südliche Teil des Rainer Walds ist ein sogenanntes Naturwaldreservat, das in seiner Entwicklung vollends sich selbst überlassen ist. Dort darf sich u. a. auch der Biber frei entfalten und hat große Teile dieses Gebiets bereits überflutet. „Manch einer wirft uns vor, wir lassen den Wald hier verlottern“, erzählt Alexander Stark. Naja, aufgeräumt sehe in der Tat anders aus, entgegnet Martin Werneyer. Aber man betreibe hier eben keinen „Micky-Maus-Naturschutz“, um schöne Kulissen zu erzeugen, stellt er klar. Teile des Rainer Walds unterzieht der LBV einer naturschutzfachlich sinnvollen Renaturierung. So gibt es im Rainer Wald einige Fichtenschonungen, Relikte aus der früheren wirtschaftlichen Nutzung des Walds, die man nun Schritt für Schritt in einen standortgerechten Mischwald umstrukturiert.
Wir gehen zu einer dieser ehemaligen Fichtenschonungen, jetzt eine fast baumfreie Lichtung mitten im Wald. Dort war vor einem Jahr ein Rückepferd im Einsatz, um vom Borkenkäfer befallene, gefällte Fichtenstämme bodenschonend aus dem Wald zu ziehen. Um uns herum stehen runde Holzgatter, hinter denen, vor Wildverbiss geschützt, kleine Eichen wachsen. Sie sind gerade knöchelhoch. Zusammen mit ehrenamtlichen Helfern hat man hier letztes Jahr 10.000 Eicheln in den Boden gesteckt, in der Hoffnung, dass sie keimen.
Zahlreiche Biotopeichen bieten wertvollste Lebensräume im Wald
Als nächstes führt uns Martin Werneyer zu einigen Biotopeichen des Waldes, wie er sie nennt. Was macht nun so eine Biotopeiche aus? „Alles, was einem bei der wirtschaftlichen Waldnutzung sonst graue Haare wachsen lässt, Astlöcher, Spechthöhlen und Rindenschäden“, bringt es Martin Werneyer auf den Punkt. Wir stehen vor einer solchen Biotopeiche und schauen nach oben. Es ist eine ca. 150 Jahre alte Stieleiche, rund 20 Meter hoch. In einen ihrer abgestorbenen Äste haben die Spechte mehr als ein Dutzend Spechthöhlen geschlagen. Diese sind begehrte Behausungen, nicht nur bei Vögeln. Auch andere Waldbewohner wie Eichhörnchen, Siebenschläfer oder auch Fledermäuse nehmen die Spechthöhlen gerne zum Quartier. Insgesamt sechs verschiedene Spechtarten gibt es im Rainer Wald, die hier ideale Lebensbedingungen vorfinden.
Blick nach oben zu den Spechthöhlen in einer der Biotopeichen des Rainer Waldes.
Erfolgreicher Start der Kooperation zwischen dem LBV und der UmweltBank
Ein Erstnachweis einer Art im Rainer Wald ist uns dann beim Fischen in einem der vielen kleinen Tümpel tatsächlich geglückt. Im Kescher befand sich eine Wassernadel, eine mit dem Wasserskorpion verwandte Art. Sie kommt allerdings viel seltener in unseren mitteleuropäischen Gewässern vor. Ein echter Glücksfund sei das, freuen sich Martin Werneyer und Alexander Stark.
Dieser Erstnachweis der Wassernadel war ein toller Start für die gemeinsame Kooperation zum Erhalt dieses einzigartigen Lebensraums. Bei unserem Besuch konnten wir an Martin Werneyer und Alexander Stark eine Spendenurkunde in Höhe von 16.480,- Euro für das erste Halbjahr 2019 überreichen. Das sei eine bemerkenswerte Summe, freuen sich die beiden, mit der man endlich einige langersehnte Projekte umsetzen werde. Wir sind gespannt und werden die Entwicklungen im Rainer Wald weiterverfolgen!
Was ist denn das? Martin Werneyer und Carolin Holzmann prüfen den Kescherinhalt.
Gute Investition in die Zukunft und sinnvolle Aktion. Die Artenvielfalt braucht mehr Natur und Umdenken auch im eigenen Garten. Weniger Unkrautbekämpfung und statt sterile aufgeräumte Gärten mehr einheimische insektenfreundliche Pflanzen und unaufgeräumte Ecken, die geschickt zwischen Blumen und Sträuchern versteckt, gar nicht auffallen. Ich habe bewusst Brenneseln und manch anderes im Garten untergebracht. Es fällt niemandem auf, obwohl soviele Passanten, selbst jetzt noch anhalten und über die Vielfalt und Reichtum der Blüten, staunen. Dafür gibt es nach nur 26 Monaten ganz viele Insekten, Vögel, Igel und mehr. Ein Pimpernuss zieht nächste Woche auch ein.
Ich hoffe Ihr Artikel macht Mut und Lust selber was für die Natur zu tun, sei es auch nur auf dem Balkon im Topf oder durch bewusst ökologische Lebensführung.
Hallo Ayse,
das freut uns zu lesen, dass Ihnen das Rainer-Wald-Projekt gefällt. Dass Sie in Ihrem Garten einen Rückzugsort für unterschiedlichste Tier- und Pflanzenarten schaffen, finden wir toll! Vielleicht schicken Sie einmal ein Bild von Ihrer Pimpernuss, wenn Sie sie gepflanzt haben? Das würde uns sehr freuen! In jedem Fall wünschen wir Ihnen weiterhin viel Freude beim naturnahen, behutsamen Gärtnern.
Beste Grüße
Carolin Holzmann